Am Ende ist es wie immer im Theater: Das Publikum muss die Suppe auslöffeln. Und das schmeckt nicht allen, die am Donnerstagabend zur Premiere von „Penthesile:a:s“ ins Neue Theater in Halle an der Saale gekommen sind, um die große Sandra Hüller als Regisseurin zu bewundern. Das sei ein Hörspiel, kein Schauspiel gewesen, beschwert sich ein Zuschauer lautstark. Richtig ist, dass Bühnenvorgang und gesprochenes Wort auseinandergerissen wurden, sodass beim Schälen der Möhre auf der Kücheninsel vom Spalten der Schädel auf dem Schlachtfeld die Rede ist. Wie passt das alles zusammen?
Die Überschreibung „Penthesile:a:s“ der Autorin MarDi wurde 2021 beim Festival d’Avignon uraufgeführt. Die Doppelpunkte in der deutschen Übersetzung von Dorothea Arnold und Fanny Bouquet, im Original sind es Punkte, markieren den „Gender Trouble“, der in der Sache freilich auch bei älteren „Penthesilea“-Bearbeitungen wie der von Heinrich von Kleist vorhanden ist, nur ohne solche Signale. Bei MarDi wird der Kampf zwischen der Amazonenkönigin Penthesilea und dem griechischen Heerführer Achilles aus der dramatischen Form gerissen und als feministisches Langgedicht neugeschrieben.
Das zwölfköpfige Ensemble setzt sich in die erste Reihe vor die Zuschauer und trägt den Text im Chor vor, während Einzelne immer wieder zu der von Ausstatterin Nadja Sofie Eller entworfenen Küchenlandschaft im Würfel gehen und dort Kaffee kochen und Gemüse schnippeln oder verrätselte, stumme Miniszenen aufführen. Die unheimlich dröhnende Musik von Moritz Bossmann lässt erahnen, dass in dieser Szene häuslicher Normalität ein diffuses Unheil droht. So auch im Text: „Familie, Paare, die Geschlechter zerreißen sich“, heißt es dort, nachdem ein weiterer Krieg um Troja angekündigt wird.
Auf der Textebene spritzen Blut und Knochensplitter bis in die letzte Reihe, während im Bild betonte Harmlosigkeit vorherrscht. Doch diese Spannung löst sich mehr und mehr auf, je engagierter sich das Stück in ein Lob der Fluidität verwandelt. Folgt man erst noch der „Vulvenarmee“ auf der Flucht vor der „Ordnung der Männer“ (merke: gar nicht so einfach, weil die Männer – die lieben Strukturen! – ja in einem drin sind), wird kurz darauf schon proklamiert: „die Geschlechter wechseln, die Körper, die Sprache“. Wie ein Manifest des Regenbogenbataillons: Erst Gemetzel, dann Geschlechterwechsel. Weit geschickter hat das Peter Hacks einst in seinem Drama „Omphale“ verhandelt.
Nachdem den Männern noch Schnellkochtöpfe und Staubsauger in ihre Fressen gehauen wurden und so der Sprung vom antiken Stoff zur Küchenzeile geschafft wurde, geht’s auf ins nächste Metaphernschlachtfeld: Nun soll man Koralle, Alge, Biene oder gleich „Pflanzenrudel“ werden. Man merkt die Donna-Haraway-Lektüre. Einer der „Hot Takes“ der Philosophin lautet, man müsse zu Humus werden, das sei im eigentlichen Sinne human. Bei Haraway läuft das auf einen Fortpflanzungsverzicht hinaus, weil man sich mit Flora und Fauna verwandt machen soll, anstatt Kinder in die Welt zu setzen.
Am Ende geht es nicht um ein neues Kapitel in der Menschheitsgeschichte – dem Fortschritt wird mit viel Pathos abgeschworen –, sondern um das Zurück in die Naturgeschichte. Kein Ende der Vorgeschichte, wie die radikale Aufklärung es vor Augen hatte, sondern ihre Verlängerung ins Unendliche. Der depressiv erschöpfte Mensch des Anthropozän träumt von einer Rückkehr in die Gemeinschaft der Einzeller und Wirbellosen. Was soll man von diesem posthumanistischen Neorousseauismus halten?
Und dann gibt’s Suppe für alle
Was der Kritiker schon länger ahnt, tritt zum Ende hin ein: Text und Bühnengeschehen finden nun doch in einer ausgepinselten Utopie zusammen. Come together! Eine lange Tafel wird aufgebaut und das Publikum zu Tisch geladen. Serviert wird nicht nur Suppe, sondern gleich die ganz große Versöhnung. Hier will die Schaubühne nicht einmal mehr moralische Anstalt sein, sondern gleich Heilanstalt. Eine ästhetische Tendenz, die von den großen Biennalen bis zu den Theaterfestivals immer häufiger zu beobachten ist, wenn man zum als „widerständige Praxis“ gelabelten betreuten Kochen geladen wird.
Das Paradoxe ist, dass die auf der Bühne vorgeführte Versöhnung im Publikum – zumindest in der unmittelbaren Nähe des Kritikers – zu einem gegenteiligen Effekt führt, nämlich zur dramatischen Entzweiung im Konflikt, wie eingangs bereits angedeutet. „Gequirlte Scheiße!“, poltert ein Zuschauer beim Schlussapplaus. Sofort tritt ein Gegenspieler auf, der ihm mangelnde Hirnwindungen und gleich auch noch Stasi-Vokabular attestiert, was mit einem Hinweis auf die woke-faschistoide Kultur des Ausschlusses gekontert wird. Die ganze Dynamik des Kulturkampfs in nur zwei Minuten!
Was an dem Abend geköchelt wird, folgt einem einfachen Rezept: Ein Text, der angesagte Themen so abstrakt verhandelt, dass es nicht einmal stört, dass die Konkretion dazu das gemeinsame Löffeln der Suppe ist. Gewürzt wird das Ganze mit einem kräftigen Schuss Starbonus: Hüllers Regiedebüt (mit Ko-Regisseur Tom Schneider)! Wer sich jedoch erinnert, wie die oscarnominierte Ausnahmeschauspielerin („Anatomie eines Falls“, „Zone of Interest“) mit Jens Harzer zusammen „Penthesilea“ spielte, dürfte – trotz Suppe – nach „Penthesile:a:s“ ästhetisch hungrig geblieben sein.
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