Autoherstellern aus China wird oft nachgesagt, dass sie der deutschen Industrie gefährlich werden könnten. Auf den Straßen sieht man die Stromer von BYD, GWM oder Lynk & Co bislang aber äußerst selten, zeigt die Statistik. Wie passt das zusammen?
Deutschland hat etwa 84 Millionen Einwohner und mehr als 49 Millionen zugelassene Pkw. Bei genauerer Betrachtung zeigt die Statistik zudem: Das Vertrauen der Deutschen in den Verbrennermotor und die Beliebtheit der heimischen und etablierten Automarken scheint nach wie vor groß zu sein.
Darauf deuten jedenfalls die aktuellen Bestandsdaten des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) hin. Gut 88 Prozent der zugelassenen Privatautos in Deutschland fahren demnach ausschließlich mit Benzin oder Diesel. Mehr als 50 Prozent tragen zudem das Logo von BMW, Audi, VW, Mercedes oder Opel.
Das Emblem eines Herstellers aus China hingegen sieht man äußerst selten: Nur etwa 0,17 Prozent der in Deutschland zugelassenen Autos stammen den Daten zufolge von einer Marke aus dem Reich der Mitte. Das ist nur wenig mehr als vor einem Jahr, als der Anteil bei etwa 0,14 Prozent lag.
BYD geht in die Offensive
Tatsächlich tun sich Chinakonzerne wie SAIC, GWM und BYD noch schwer damit, auf dem Automarkt in Westeuropa Fuß zu fassen, bestätigt der Verkehrsexperte Thomas Puls vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. "Ein wichtiger Hemmschuh für die chinesischen Hersteller ist der geringe Bekanntheitsgrad und auch das fehlende Händlernetz", sagt Puls gegenüber ntv.de.
Doch die Chinesen lassen sich davon nicht abschrecken - im Gegenteil: Sie gehen in die Offensive. Vor allem beim Hersteller BYD sieht der Experte klare Anzeichen für den Strategiewechsel. Mit eigenen Verkaufsstellen, einer Fabrik in Ungarn und angeblich weiteren geplanten Standorten versucht der Konzern weiterhin, den Fuß in Europas Tür zu bekommen. "Es ist also nicht so, dass die sich von den bisherigen Misserfolgen entmutigen lassen", so Puls.
BYD ist nicht der einzige Konzern, der sich in Stellung bringt. Vor allem auf dem Markt für E-Autos streben die Chinesen offensichtlich eine weltweite Führungsrolle an. Der Staat treibt die Forschung und Entwicklung von Batterietechnologien schon seit Jahren intensiv voran und beteiligt sich mit umfangreichen Subventionen an der Autoproduktion.
Im eigenen Land - immerhin dem weltweit größten Absatzmarkt für E-Fahrzeuge - haben Autos "Made in China" dadurch bereits erhebliche Marktanteile hinzugewonnen und ausländische Hersteller verdrängt. Auch auf anderen asiatischen Märkten, in Russland und Zentralasien etwa, haben sich die Chinesen laut dem IW-Experten als "dominante Kraft" etabliert.
Analyst: Keine Anzeichen für "Marktschwemme"
Der Konkurrenzdruck aus Fernost wird im Westen misstrauisch beäugt: E-Autos aus China gelten als technisch ausgefeilt - und ausgesprochen günstig. Könnten exotische Markennamen wie Nio, Xpeng oder Maxus bald auch in Deutschland das Straßenbild prägen? Julian Litzinger von den Frankfurter Automobilmarktanalysten Dataforce winkt ab. "Rein von den Zahlen her gibt es momentan keine Anzeichen, dass die chinesischen Marken in naher Zukunft den deutschen Markt 'überschwemmen' werden."
Zwar habe vor allem BYD bei den Neuzulassungen zuletzt deutlich zulegen können. Viele andere Neuzugänge haben jedoch Probleme, sich auf dem deutschen Markt zu etablieren. "Wir sehen aktuell eher eine Konsolidierung der chinesischen Marken in Deutschland", sagt Litzinger. "Vor allem seit Inkrafttreten der europäischen Zölle Ende Oktober sind die Marktanteile im Elektromarkt deutlich zurückgegangen."
Auch in den Bestandsdaten des KBA wird deutlich, dass E-Autos aus China in Deutschland bislang keine große Rolle spielen. Demnach waren zum Jahresbeginn knapp 76.000 E-Autos verschiedener chinesischer Hersteller auf deutschen Straßen unterwegs. Das sind immerhin knapp 13 Prozent mehr als noch vor einem Jahr.
Im Vergleich zu den Zulassungszahlen der etablierten Hersteller wirken die Chinaimporte jedoch vernachlässigbar. Allein der VW-Konzern hat im vergangenen Jahr mehr als 62.000 neue batteriebetriebene Fahrzeuge auf die Straße gebracht. Bei BMW waren es mehr als 42.000 im BEV-Segment. Mercedes und Audi kommen zusammen auf rund 55.800 Neuzulassungen 2024.
Zusammen machen diese Marken etwa 38 Prozent des gesamten E-Auto-Bestands in Deutschland aus. Zählt man auch Plug-in-Hybridantriebe hinzu, wächst ihr Marktanteil noch einmal deutlich auf gut 43 Prozent. Die China-Marken hingegen tragen insgesamt weniger als drei Prozent zum E-Auto-Bestand in Deutschland bei. Und: Gegenüber dem Vorjahr ist dieser Anteil nahezu gleich geblieben.
Dass der Durchbruch ausbleibt, habe womöglich auch mit der Modellauswahl der Chinesen zu tun, glaubt Julian Litzinger von Dataforce. "Viele Hersteller versuchen, mit großen Fahrzeugen im Premiummarkt anzugreifen", sagt der Analyst. "Das funktioniert in Deutschland aber nur eingeschränkt, da BMW, Audi und Mercedes hier nahezu unangefochten und beständig dominieren."
Erfolgreicher sei die Strategie gewesen, "Marken mit europäischem Image zu vermarkten, obwohl es sich eigentlich um Chinesen handelt", sagt der Experte. Das spiegelt sich auch in der KBA-Statistik: Am erfolgreichsten war demnach die ehemalige britische Traditionsmarke MG, die heute zum Shanghaier Autokonzern SAIC gehört. An zweiter Stelle steht die Marke Polestar, ein Joint Venture zwischen dem schwedischen Autokonzern Volvo und dem chinesischen Automobilhersteller Geely.
Mit der richtigen Strategie können die China-Autos in Deutschland also durchaus Fuß fassen. Litzinger geht davon aus, dass sich "drei bis vier Marken" dauerhaft in Deutschland etablieren könnten. "Der Rest wird sehr wahrscheinlich langfristig wieder vom Markt verschwinden", so die Prognose des Experten.
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