Um 6.30 Uhr wird der Campanile, der Glockenturm der Basilika Santa Maria Maggiore, das erste Mal ins Sonnenlicht getaucht. Die 432 n. Chr. erbaute Marienkirche, in der Papst Franziskus seine letzte Ruhe findet, wird an diesem Samstagmorgen schon früh von Pilgern bevölkert. Einer von ihnen ist Alessandro Multari. Der 40-Jährige ist mit einer zehnköpfigen Gruppe gläubiger Jugendlicher bereits um sieben Uhr morgens hierhergekommen – viele Stunden, bevor die am Petersdom startende Prozession nach einem rund sechs Kilometer langen Zug durch Rom an diesem Ort enden wird.

Franziskus ist auf eigenen Wunsch der erste Papst seit mehr als einem Jahrhundert, der nicht im Petersdom bestattet wird. Das Oberhaupt der katholischen Kirche war am Ostermontag im Alter von 88 Jahren gestorben.

„Ich habe in den letzten drei Tagen viel geweint für den Papst, weil er mir so wichtig ist. Aber es sind keine Tränen der Trauer, sondern Tränen, weil er so eine gute Person war“, sagt Multari. Der Platz vor der Santa Maria Maggiore sei an diesem Tag nicht der, auf dem die meisten Menschen zusammenkommen. „Aber ich wünsche mir“, so Multari, „den Papst am Ende der Reise durch die Stadt noch ein letztes Mal zu sehen.“

Der kleine Platz vor der Basilika füllt sich nach und nach mit Reportern aus aller Welt. Am Sockel einer 14 Meter hohen korinthischen Säule lassen sich Gläubige nieder – wie der 14-jährige Andrea, der mit seinen Eltern und Freunden gekommen ist. „Wir sind seit vier Tagen in Rom. Ich möchte beten für Franziskus“, sagt er. Neben der Gruppe beten drei Frauen, die die lange Reise aus Guatemala auf sich genommen haben, um dem ersten Papst zu huldigen, der, in Argentinien geboren, vom lateinamerikanischen Kontinent stammt.

Doch der Papst werde nicht nur von Gläubigen überall auf der Welt verehrt, sondern auch von den Römern selbst, sagt Andreas Englisch. Der 61-jährige Journalist gilt als profilierter Vatikan-Kenner, lebt seit 1987 in der italienischen Hauptstadt und berichtet von dort. „Es gibt wahnsinnig viele Leute, die ihn auch persönlich gekannt haben. Er hat angerufen, hat gesagt: Hallo, hier ist Franziskus. Er ist bei Leuten aufgetaucht, hat Familien besucht“, erklärt Englisch.

Auch Abt Nikodemus Schnabel möchte sich an diesem Samstag von Papst Franziskus verabschieden. Der 46-jährige Benediktinermönch lebt in Jerusalem und in Tabgha, wo die Brotvermehrungskirche direkt am See Genezareth steht. Als Teil der sogenannten Cappella Pontificia, dem Päpstlichen Chor der Sixtinischen Kapelle, hat er einen prominenten Sitzplatz beim Requiem. Am Morgen legt er den Weg von seiner Unterkunft in Sant’ Anselmo, der Benediktiner-Repräsentanz in Rom, zum Ort der Trauerfeier, dem Petersplatz, zu Fuß zurück, ist dafür rund eine Stunde lang unterwegs.

Neben 224 Kardinälen und 750 Bischöfen nehmen auch rund 50 Staats- und Regierungschefs sowie nach Angaben des Vatikans mehr als 250.000 Gläubige an den Trauerfeierlichkeiten teil. Laut Polizei befinden sich allein auf dem Petersplatz rund 50.000 Menschen.

Rechts von der Altarinsel auf dem Petersplatz sitzen die Monarchen sowie Staats- und Regierungschefs aus aller Welt, ihnen gegenüber Geistliche wie Abt Nikodemus. „Wenn ich geradeaus schaue, schaue ich entweder Trump oder Steinmeier ins Gesicht“, erzählt der Geistliche vor Beginn der Trauerfeier. Während männliche Politiker dunkle Anzüge tragen, erscheint der 46-Jährige im schlichten schwarzen Gewand mit Brustkreuz und Ring.

Bis spätestens neun Uhr müssen Besucher wie Nikodemus Schnabel ihren Platz eingenommen haben, rund eine Stunde vor Beginn der Zeremonie. „Ich bin unglaublich dankbar, überhaupt dabei zu sein, weil er mir wirklich viel bedeutet hat“, so der Abt. Er hat Papst Franziskus regelmäßig getroffen, wobei ein Treffen besonders im Gedächtnis des Benediktinermönchs geblieben ist: der 18. Dezember 2020.

Für sein theologisches Studienjahr musste Schnabel nach Rom ins Exil. Nur sechs Audienzen habe der Papst im Dezember 2020 inmitten der Corona-Pandemie zur Verfügung gehabt, im Wesentlichen Pflichtauftritte wie der Weihnachtsempfang für seine Mitarbeiter. „Die Pandemie-Maßnahmen waren sehr streng. Man durfte weder aus Rom raus noch rein. Da habe ich ihm ganz frech geschrieben, nach dem Motto: Er hängt fest, unsere Gruppe hängt fest, ob er Zeit hat.“ Hatte er, und die beiden Männer blieben in Kontakt.

Mit Blick auf die Zukunft erhofft sich Nikodemus dennoch ein Kirchenoberhaupt mit einem etwas anderen Profil: „Ich würde mir jetzt jemanden wünschen, der auch klarer politisch denkt. Jemand, der weiß, wie man mit den Spitzenpolitikern dieser Welt, mit den Mächtigen dieser Welt spricht und geht und da auch mit diplomatischem Geschick und Gespür vielleicht noch einmal mehr Erfolg erzielt.“

Andreas Englisch, der als Journalist bereits den Vor-Vorgänger von Franziskus, Papst Johannes Paul II., begleitet hat, sieht in dem verstorbenen Heiligen Vater einen Mann, der einer Kirche, die „arrogant, protzig und reich“ war, einen neuen Kurs verpasst hat. „Er war epochal. Ich glaube, man wird noch in vielen, vielen Jahren über diesen Papst sprechen, weil die Änderungen so drastisch waren.“

Englisch verweist dabei neben der Volksnähe von Franziskus und seiner Zuwendung hin zu vereinsamten und marginalisierten Menschen auch auf Segensfeiern für schwule und lesbische Paare, die die katholische Kirche erst seit Dezember 2023 erlaubt.

Bei der Trauerfeier auf dem Petersplatz erinnert Kardinal Battista Re an Franziskus‘ Leitsatz „Brücken bauen und keine Mauern“. Angesichts der vielen Kriege und Konflikte habe der Papst während seines Pontifikats immer wieder zu „ehrlichen Verhandlungen“ aufgerufen und „unaufhörlich seine Stimme erhoben, um Frieden zu erbitten und zur Vernunft anzurufen“.

Battista Re betonte zudem Franziskus‘ zahlreiche „Gesten und Ermahnungen zugunsten von Flüchtlingen und Vertriebenen“. Es sei bezeichnend, dass der Papst seine erste Reise zur Insel Lampedusa unternahm, die symbolhaft für „das Drama der Emigration geworden ist“, sagte der Weggefährte des verstorbenen Franziskus.

Vor der Basilika Santa Maria Maggiore hat die Polizei Pilger und Presse inzwischen auf die andere Straßenseite verbannt. Hier drängeln sich die Menschen zum Teil in Neuner-Reihen, um zunächst das Requiem auf einer Großleinwand zu verfolgen und dann Franziskus auf den letzten Metern ganz nah zu sein, wenn sein Sarg direkt an ihnen vorbeigefahren wird.

„Da ist eine große Dankbarkeit für Papst Franziskus für all das, was er für die Welt getan hat, für uns Menschen. Auf diesem Weg können wir uns von ihm verabschieden und einfach Danke sagen“, sagt Francesca Mangoni, die mit zwei Freundinnen aus Senigalia an der italienischen Adriaküste nach Rom gekommen ist.

Gegenüber der Santa Maria Maggiore hängt ein Plakat: „Grazie Francesco“ steht dort in Großbuchstaben. In der Basilika wird der Heilige Vater an diesem Samstagnachmittag in aller Stille zu Grabe getragen.

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