An einem Tag Mitte März war Kilmar Abrego Garcia auf dem Rückweg von der Arbeit, als Beamte des US-Innenministeriums den 30-Jährigen verhafteten. Auf dem Rücksitz seines Autos saß sein fünfjähriger Sohn, der an Autismus und Schwerhörigkeit leidet. Später berichtete Abrego Garcias Frau, die Beamten hätten ihr zehn Minuten gegeben, um ihren Sohn abzuholen; andernfalls, so drohten sie ihr, würden sie das Kind der Jugendbehörde übergeben.

Abrego Garcia kam in ein Gefängnis in Texas, drei Tage später wurde er in das „Terrorism Confinement Center“ in El Salvador ausgeflogen, das für seine unmenschlichen Haftbedingungen bekannt ist. Weder nach seiner Verhaftung noch nach seiner Überstellung in das texanische Gefängnis war Abrego Garcia gestattet worden, mit einem Anwalt zu sprechen – obwohl laut Verfassung allen Personen auf amerikanischem Territorium ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert ist.

Kilmar Abrego Garcia ist kein amerikanischer Staatsbürger, hielt sich aber legal in den Vereinigten Staaten auf und ist mit einer Amerikanerin verheiratet. Er ist nie eines Verbrechens angeklagt oder gar überführt worden.

Das ist es, was den Fall so besonders macht: Dass es sich offenkundig um einen Fehler handelt. Selbst die amerikanische Regierung gesteht ein, die Abschiebung sei ein „administratives Versehen“ gewesen. Paula Xinis, eine Bundesrichterin in Maryland, ordnete darum am 4. April an, die Regierung müsse auflisten, welche Schritte sie unternommen habe, um die Rückkehr von Abrego Garcia zu seiner Familie zu ermöglichen. Der Oberste Gerichtshof in Washington hat sich hinter Richterin Xinis gestellt.

Aber die Regierung von US-Präsident Donald Trump zeigt nicht die geringste Bereitschaft, der richterlichen Anordnung Folge zu leisten. Abrego Garcia sei außer Landes geschafft worden, und nun könne man El Salvador eben nicht zwingen, ihn wieder herauszurücken, heißt es. Sechs Millionen Dollar pro Jahr zahlt die amerikanische Regierung dem dortigen Machthaber Nayib Bukele, damit er missliebige Ausländer einsperrt. Bei einem Staatsbesuch im Weißen Haus nannte Bukele Abrego Garcia einen „Terroristen“ und sagte, er denke gar nicht daran, den Mann wieder herauszugeben.

Am Fall Abrego Garcia, das wird immer deutlicher, wird sich erweisen, inwiefern es sich bei den Vereinigten Staaten heute überhaupt noch um einen Rechtsstaat handelt – oder ob das Land den Weg in Richtung Autokratie einschlägt. Die Regierung Trump beruft sich auf den „Alien Enemies Act“ von 1798, ein Gesetz, das dem Präsidenten die Macht gibt, Ausländer „in Zeiten des Krieges, einer Invasion oder eines räuberischen Einfalls“ festzusetzen oder auszuweisen.

Allerdings befinden sich die USA derzeit nicht im Kriegszustand. Dennoch gab der Oberste Gerichtshof in Washington dem Präsidenten das Recht, nach Gutdünken Leute aufzugreifen und nach El Salvador zu verschleppen – wenigstens „vorläufig“. Benjamin Wittes, ein profilierter amerikanischer Journalist, der sich mit Rechtsfällen befasst, fühlt sich auf seinem Blog „Lawfare“ an Kümmelblättchen erinnert – also an jenes Betrugsspiel, bei dem man raten muss, welche von drei schnell durcheinander gewirbelten Karten die Trumpfkarte ist.

„Trump sagt, alles kommt auf Bukele an. Bukele sagt, alles kommt auf Trump an. Und mit der dritten Karte muss eine Bundesrichterin irgendwie unser aller Recht verteidigen, nicht in einem ausländischen Gulag zu verschwinden.“ Wittes weist darauf hin, dass Richterin Xinis keine schlagkräftigen Instrumente hat, um gegen die Regierung vorzugehen, wenn diese sich – trotz Beschluss des Obersten Gerichtshofes – weiterhin ihrer Anordnung widersetzt.

Am Freitag erschütterte ein weiterer Fall im Zusammenhang mit der verschärften Einwanderungspolitik das amerikanische Rechtssystem. US-Bundesbehörden nahmen eine Richterin des Bundesstaates Wisconsin vorübergehend fest. Bezirksrichterin Hannah Dugan aus Milwaukee County werde Justizbehinderung vorgeworfen, hieß es in einer Strafanzeige des Bundesjustizministeriums. Sie habe sich am 18. April geweigert, einen per Haftbefehl gesuchten mutmaßlich illegal eingewanderten Mann an Einwanderungsbehörden zu übergeben, als dieser während eines anderen Verfahrens gegen ihn ihren Gerichtssaal betrat. Dugan habe das Vorgehen als „absurd“ bezeichnet und auch versucht, dem Mann zur Flucht zu verhelfen, hieß es weiter. Er soll sich in Haft befinden.

Gerichtsunterlagen zufolge wurde Dugan nach der Vorstellung vor einem Bundesgericht zunächst wieder auf freien Fuß gesetzt. Sie soll am 15. Mai ihr Plädoyer abgeben. Vor dem Gerichtsgebäude versammelte sich eine Menschenmenge und skandierte „Lasst die Richterin frei“. Bundesjustizministerin Pam Bondi erklärte zu dem Fall auf sozialen Medien: „Niemand steht über dem Gesetz.“

FBI-Direktor Kash Patel hatte die Festnahme auf dem Kurznachrichtendienst X bekannt gegeben, bevor der Fall regulär veröffentlicht wurde, und damit möglicherweise gegen Geheimhaltungsregeln verstoßen. Nach kurzer Zeit löschte er den Post wieder.

Trump geht gegen Anwaltsfirmen vor

Neben den rechtlichen Folgen der Einwanderungspolitik gibt es noch einen weiteren Schauplatz, den zu beobachten sich lohnt. Seit Trump an die Macht zurückgekehrt ist, geht er mit Präsidialerlassen gegen alle Anwaltsfirmen vor, die ihm je in die Quere gekommen sind. Künftig dürfen ihre Anwälte keine Regierungsgebäude mehr betreten, keine Parteien vertreten, die mit der Regierung in Verbindung stehen, und keine Regierungsdokumente einsehen. Natürlich gibt es dafür keinen Präzedenzfall. Noch nie hat ein Präsident sein Amt dazu benutzt, um gegen juristische Gegner vorzugehen.

Trumps jüngstes Opfer ist die Firma Susman Godfrey, deren Vergehen in Trumps Augen darin bestand, dass sie gegen die Falschbehauptung vorging, bei der Präsidentschaftswahl 2020 seien Wahlmaschinen manipuliert worden, um Joe Biden zum Sieg zu verhelfen. Susman Godfrey hat am vergangenen Freitag gegen den Erlass des Präsidenten geklagt. Wenn die Gerichte den Erlass nicht zurückweisen, werde „ein gefährlicher und vielleicht nicht wiedergutzumachender Präzedenzfall gesetzt“, heißt es in der Anklageschrift.

Andere Anwaltsfirmen fielen sofort auf die Knie und baten um Gnade. So die altehrwürdige New Yorker Anwaltsfirma Paul Weiss. Sie hatte den Zorn Trumps auf sich gezogen, weil einer ihrer früheren Anwälte ein Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten angestrengt hatte, als er in Manhattan Staatsanwalt wurde. Zu den Gründern von Paul Weiss gehörte ein Mann namens Simon Rifkind, der später Richter in New York wurde.

Seine beiden Enkelinnen, Amy und Nina Rifkind, haben nun einen Brief an den Vorstand von Paul Weiss gerichtet. „Unser Großvater glaubte felsenfest daran, dass jeder – auch Lucifer, wie einer seiner berühmten Aussprüche lautete – das Recht auf einen Anwalt hat“, heißt es darin. Die beiden Enkelinnen baten die Firma, sich nicht mehr auf ihren Großvater zu berufen, solange sie faule Kompromisse mit der Macht schließe.

Unterdessen ließ Trump beim Besuch des Diktators aus El Salvador verlauten, als Nächstes seien „homegrown criminals“, also amerikanische Staatsbürger, dran, und Bukele möge schon einmal neue Gefängnisse bauen. Alles nur Gerede? George Conway sieht das nicht so. Conway ist ein Konservativer; er sollte unter Trump eigentlich als Generalanwalt der USA dienen, wollte den Job aber nicht annehmen, als er sah, wie sich die erste Trump-Regierung entwickelte. Er wurde zu einem von Trumps schärfsten Kritikern.

Könnte der Präsident also Amerikaner in ein ausländisches Gefängnis verschleppen lassen, indem er einfach behauptet, es handle sich um Kriminelle? „Aber gewiss doch“, sagte Conway kürzlich in einem Podcast. „Offenkundig erlaubt der Alien Enemies Act nicht, amerikanische Staatsbürger zu verhaften und abzuschieben, aber die Regierung sagt ja auch: Dieses Gesetz gilt, obwohl es keinen Krieg gibt, obwohl es keine Invasion gibt, das doch die Voraussetzung dafür wäre.“

Und weiter: „Wenn die Regierung Leute ausweisen kann, ohne dass es einen Rechtsweg gibt, wenn sie sagt, dass eine Richterin sie nicht aufhalten kann – was hindert sie dann daran, zufällig Leute von der Straße aufzulesen, nur weil sie braune Haut und Tätowierungen haben?“

Bleibt am Ende die Frage nach dem Warum. Warum weigert sich die Trump-Regierung so hartnäckig, Abrego Garcia heimkehren zu lassen? Welche Gefahr droht ihr von diesem Mann?

Die Antwort ist wohl, dass der Zeitpunkt, zu dem man Abrego Garcia heimlich hätte zurückbringen können, längst verstrichen ist. Jetzt würden Kamerateams seine Heimkehr begleiten. Und Abrego Garcia würde die Fiktion platzen lassen, dass von Trump nur Leute verfolgt werden, die es verdient haben.

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