Der Appell war ungewöhnlich direkt: In Telefonaten mit seinen Amtskollegen in Großbritannien und Österreich forderte Chinas Außenminister Wang Yi diese Woche europäische Staaten auf, gemeinsam mit Peking gegen die Strafzollpolitik von US-Präsident Donald Trump vorzugehen. Wang sprach von „ökonomischem Mobbing“ durch Washington und forderte Europa auf, das multilaterale Handelssystem aktiv zu verteidigen. Der Zeitpunkt ist kein Zufall – und zeigt, wie sehr China versucht, die transatlantische Verunsicherung für sich zu nutzen.

Noch vor wenigen Monaten herrschte ein anderer Ton in Brüssel. Die EU sprach offen von „De-Risking“, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warnte vor gefährlicher wirtschaftlicher Abhängigkeit, und hochrangige Politiker reisten durch Asien, auf der Suche nach Alternativen zur Volksrepublik China.

Vietnam, Indonesien, Indien – überall suchte man nach neuen Partnern, um die Lieferketten zu diversifizieren und Europas geopolitische Souveränität zu stärken. Doch nun, im Schatten eines eskalierenden Zollkonflikts zwischen den USA und China, mehren sich die Stimmen, die eine Annäherung an Peking fordern.

In Brüssel galt China lange als „systemischer Rivale“, als wirtschaftlicher Wettbewerber und politischer Herausforderer westlicher Normen. Aber seit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus hat sich die Tonlage verändert.

Spaniens Premierminister Pedro Sánchez reiste im April als erster EU-Regierungschef nach Beginn der neuen US-Zollrunde nach China, ließ sich demonstrativ mit Machthaber Xi Jinping ablichten, rief zu einer Neubewertung der europäisch-chinesischen Beziehungen auf und bezeichnete das chinesisch-spanische Verhältnis als Schlüssel für eine globalisierte Zukunft.

Die deutsche Wirtschaft freut sich

In einem Treffen mit Xi forderte Sánchez, Handelsbarrieren abzubauen und gemeinsame Investitionen in strategische Sektoren wie Energie und Technologie auszubauen. Sánchez arbeitet schon länger an einer Annäherung an Peking, zuletzt war er im September 2024 zu Gesprächen mit Xi nach Peking gereist. Wenige Wochen zuvor hatte auch der französische Außenminister Jean-Noël Barrot in Peking einen Aufschub für chinesische Strafzölle auf Cognac erreicht – ein weiteres Beispiel für die neue diplomatische Aktivität europäischer Spitzenpolitiker in Richtung Peking.

In Deutschland freut sich darüber vor allem die Wirtschaft. Mehrere große deutsche Unternehmen haben zuletzt ihre Zusammenarbeit mit China vertieft. BMW kündigte im April an, künstliche Intelligenz der chinesischen Firma DeepSeek in neuen Fahrzeugmodellen für den chinesischen Markt einzusetzen.

Auch Volkswagen setzt verstärkt auf Partnerschaften mit chinesischen E-Auto-Herstellern wie XPeng und entwickelt Modelle speziell für den chinesischen Markt. Und Mercedes-Benz plant, seine neue elektrische CLA-Klasse mit einem lokal entwickelten Betriebssystem in China auf den Markt zu bringen.

Die EU hat ihre Rhetorik ebenfalls angepasst. Von der Leyen sprach Anfang April von einer „verhandelten Lösung“ mit China und vereinbarte ein Frühwarnsystem gegen mögliche Handelsumlenkungen. Gleichzeitig reaktivierte Handelskommissar Maros Sefcovic gemeinsame Arbeitsgruppen zu Lieferketten und Marktöffnungen.

Einladung an Peking

Sichtbar wird das Umdenken auch in der Ukraine-Frage: Während von der Leyen China in der Vergangenheit scharf für die wirtschaftliche Unterstützung Russlands kritisiert hatte, lud sie Peking nun ein, sich „konstruktiv am Friedensprozess zu beteiligen“ – ein deutlich diplomatischeres Framing als noch vor wenigen Monaten. Und Peking signalisiert deutlich, dass man die Spaltung zwischen den USA und Europa nutzen will, um sich als stabiler Partner zu positionieren – und Europa zu einer klareren Abgrenzung gegenüber Washington zu bewegen.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit von China bleibt derweil hoch, zum Beispiel bei kritischen Rohstoffen und Industriekomponenten. Doch die ökonomische Nähe bringt ein sicherheitspolitisches Risiko mir sich. Die Debatte um den Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes, in der Berlin und Paris immer noch keine klare Linie gegenüber chinesischen Anbietern ziehen, ist nur ein Beispiel dafür. London hingegen hat die Nutzung von Huawei-Technik aus China für 5G verboten.

Max Zenglein, Chefökonom des Thinktanks Merics in Berlin, warnt im Gespräch mit WELT: „Nur weil die USA destruktiv agieren, wird China nicht automatisch zum besseren Partner.“ Pekings industriepolitische Ziele seien klar – und mit europäischen Interessen oft unvereinbar. Zudem profitiere die Volksrepublik davon, dass die EU in ihrer China-Politik gespalten sei. Einzelne Mitgliedstaaten würden gezielt umworben, um eine gemeinsame Linie zu verhindern.

Europa sucht nach Stabilität – und projiziert sie auf China. Doch Peking verfolgt eine andere Logik: Macht statt Regeln, Interessen statt Prinzipien. Es sucht gezielt neue Partner, um sich gegen Trumps Handelspolitik abzusichern.

Die EU lotet ihre Handlungsspielräume aus. Eine engere wirtschaftliche Kooperation verspricht kurzfristige Vorteile, es bleiben aber grundsätzliche Differenzen bei Sicherheitsfragen, der Beachtung von Menschenrechten und Marktregeln. Welche Richtung die EU künftig zwischen einem protektionistischen wie auch erratischen US-Präsidenten und einem autoritär geführten China einschlägt, dürfte auch davon abhängen, wie belastbar die transatlantischen Beziehungen auf Dauer sind – und ob Peking bereit ist, auf zentrale Prinzipien Europas einzugehen.

Christina zur Nedden ist China- und Asienkorrespondentin. Seit 2020 berichtet sie im Auftrag von WELT aus Ost- und Südostasien.

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