Eigentlich müsste Milorad Dodik längst in Haft sitzen. Doch bislang traute sich niemand, ihn festzunehmen, obwohl der entsprechende Befehl dazu seit über einem Monat besteht. Und so nutzte der Mann seine Freiheit, um sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen – und dafür zu sorgen, dass der deutschen Staatsministerin Anna Lührmann Gewalt angedroht wurde.

Dodik ist Präsident des serbischen Landesteils von Bosnien-Herzegowina, der Republika Srpska. Ihm wird vorgeworfen, dass er das Teilgebiet vom Rest des Landes abzuspalten versucht. Dafür erließ er Gesetze, denen zufolge die Justizorgane des bosnischen Staates und die Bundespolizei auf dem Gebiet der Republika Srpska keine Amtshoheit mehr hätten. Es wäre die faktische Aufspaltung des Landes – mit unabsehbaren Folgen, die den Frieden gefährden könnten.

„Dodiks Drohungen und der konkrete Versuch, die Verfassung Bosnien und Herzegowinas in der Republika Srpska auch gewaltsam zu untergraben, grenzen an einen Putschversuch“, sagt Christian Schmidt, Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, WELT am Rande des vom türkischen Außenministerium ausgerichteten Antalya Diplomacy Forum. Schmidt hat ein Amt inne, das ihm weitreichende Befugnisse zur Wahrung des Friedensvertrags von Dayton verleiht. Er kann etwa Gesetze erlassen oder aufheben und Amtsträger entlassen, wenn sie den Frieden im Land gefährden. Männer wie Dodik zum Beispiel.

Ein bosnisches Gericht hatte Dodik wegen des Verdachts vorgeladen, gegen die Verfassung des Landes verstoßen zu haben, was er ignorierte, weshalb der Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wurde. In dieser aufgeheizten Lage reiste Lührmann als Vertreterin der Bundesregierung nach Bosnien-Herzegowina – um deutlich zu machen, dass Deutschland Angriffe auf die Integrität des Landes nicht zulassen werde.

In Banja Luka, der Hauptstadt des serbischen Landesteils, traf sie Vertreter der Opposition und der Zivilgesellschaft. Dort wurde sie nach eigenen Angaben von Vertretern Dodiks bedroht und zur Persona non grata erklärt. Dabei verfügt Dodik gar nicht über die nötigen Befugnisse, um jemanden zur unerwünschten Person zu erklären, denn der serbische Landesteil ist kein eigenständiger Staat – auch wenn Dodik das gern hätte. Der Vorfall war offenbar eine Reaktion auf Sanktionen, die Deutschland und Österreich gegen Dodik erlassen hatten. Er und seine engsten Mitarbeiter dürfen in beide Länder nicht mehr einreisen.

„Dodik hat die Republika Srpska zu seiner persönlichen Festung erklärt – mit dem Anspruch, dass alle Sicherheitskräfte ihn darin verteidigen“, sagt Schmidt. „Das hätte zur Konfrontation führen können – etwa zwischen lokaler und staatlicher Polizei.“ Dass es nicht so weit gekommen sei, habe auch an besonnenem Vorgehen und kluger Intervention der internationalen Gemeinschaft gelegen.

Größte Krise seit dem Bosnienkrieg

Mittlerweile hat das bosnische Verfassungsgericht per einstweiliger Verfügung die separatistischen Justizgesetze des serbischen Landesteils aufgehoben. Doch eine Eskalation ist damit nicht abgewendet: Bosnien-Herzegowina befindet sich in der größten Krise seit dem Bosnienkrieg von 1992 bis 1995, in dem mehr als 100.000 Menschen getötet wurden. Weil die Lage so angespannt ist, hatte die EU-Schutztruppe Eufor bereits im März zusätzliche Militärverbände nach Bosnien-Herzegowina verlegt.

Nach inoffiziellen Informationen des Nachrichtenportals klix.ba soll es sich um Kontingente von 400 Mann handeln, die die etwa 1100 Mann starke europäische Schutztruppe verstärken. Eufor überwacht den nach dem Krieg geschlossenen Friedensvertrag in Bosnien-Herzegowina und hat die Aufgabe, für ein sicheres Umfeld zu sorgen und Konfrontationen zu verhindern.

Im Zentrum steht nun die Frage, wie es mit Dodik weitergehen soll. Er war abseits vom Haftbefehl bereits im Februar wegen Missachtung der verfassungsmäßigen Ordnung zu einer einjährigen Haftstrafe und Amtsverlust verurteilt worden und hat Berufung eingelegt. Die bosnische Sonderpolizei Sipa hat Dodik bislang nicht verhaftet. Das hält man für zu gefährlich, weil Dodik sich rund um die Uhr mit bewaffneten Leibwächtern umgibt. Deshalb hatten hochrangige bosnische Politiker Geleitschutz von Eufor gefordert. Doch laut Euronews hat Brüssel dies abgelehnt – womöglich ebenfalls aus Sorge vor einer Eskalation.

Schmidt sagt, er verstehe die Zurückhaltung der EU, weil die Verhaftung von Straftätern nicht zum Eufor-Mandat gehöre – was allerdings Auslegungssache ist. Er sagt aber auch, dass es Situationen geben könne, in denen eine Eskalation verhindert werden muss. „Am besten wäre es, wenn solche Fragen gar nicht erst aufkämen.“ Ein Haftbefehl könne „nicht einfach ignoriert werden, das schwächt den Rechtsstaat. Solange er besteht, muss er vollzogen werden“, so Schmidt. „Alles Weitere liegt bei den Gerichten, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger.“

Seine Formulierung lässt an ein weiteres Szenario denken – eine Einigung vor Gericht mit Aussetzung des Haftbefehls. Dies könnte zwar eine taktische Lösung sein, strategisch aber steht Bosnien-Herzegowina weiterhin vor den Scherben seiner komplizierten Verfassung. Zwar beendete der Friedensvertrag von Dayton in den 1990er-Jahren den Krieg, schuf aber ein komplexes politisches System, das von ethnischen Spannungen und Blockaden geprägt ist.

Bosnien-Herzegowina ist politisch gelähmt. An einen EU-Beitritt ist unter diesen Bedingungen nicht zu denken, gleichzeitig ist er aus Sicht Brüssels und Berlins der einzige gangbare Weg. Andernfalls könnte das Land weiter in die Instabilität abgleiten, was von externen Akteuren wie Russland nur zu gern ausgenutzt wird. Aufgrund seiner Lage gilt der Westbalkan als Einfallstor nach Europa.

Schmidt sieht nur einen Ausweg: einen Politikwechsel in der serbischen Teilrepublik. „Wir beobachten, dass die Unterstützung für Dodik in der Republika Srpska gering ist und seine Polarisierungsversuche scheitern“, sagt er. Mehrere Anläufe, Massenkundgebungen zu organisieren, seien etwa gescheitert. „Eine Neuausrichtung der Republika Srpska durch eine stärkere Opposition, die dann auch Regierungsverantwortung übernimmt, könnte viele der aktuellen Krisen schnell beenden.“ Bis dahin bleibt der Umgang mit Dodik ein Test für Europas Fähigkeit, Stabilität und Rechtsstaatlichkeit in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu sichern.

Carolina Drüten ist Türkei-Korrespondentin mit Sitz in Istanbul. Sie berichtet außerdem über Griechenland, die Länder des westlichen Balkans, Rumänien und die Republik Moldau. Im Auftrag von WELT ist sie als Autorin und Live-Berichterstatterin für den Fernsehsender unterwegs.

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