Hinter US-Heimatschutzministerin Kristi Noem stehen mehr als ein Dutzend kahl geschorene schweigende Häftlinge und blicken durch die weißen Gitterstäbe. Noem nutzt die Furcht einflößende Kulisse und stellt sich in Position. Dann wendet sie sich mit einer Botschaft direkt an Migranten, die sich ohne gültige Ausweispapiere in den USA aufhalten.
Gut 30 Sekunden ist der millionenfach im Netz abgerufene Clip aus dem Hochsicherheitsgefängnis Cecot im mittelamerikanischen El Salvador lang. „Zunächst möchte ich El Salvador und seinem Präsidenten für die Partnerschaft und dafür danken, dass sie die Terroristen, die in unseren Gemeinden Gewalt angewendet haben in Gewahrsam nehmen“, spricht Noem in die Kamera. Dann wendet sie sich an Migranten: „Wenn Sie illegal in unser Land einreisen, dann ist das eine Konsequenz, mit der sie rechnen müssen. Dieses Gefängnis ist ein mögliches Instrument, das die USA gegen jene anwenden könnten, die Verbrechen am amerikanischen Volk begehen.“
Der Clip von Ende März verfehlt seine Wirkung nicht und gehört zu den politischen Mosaiksteinen, die dazu führen, dass seit gut einem Monat an der mexikanischen Nordgrenze zu den USA eine Rückkehrbewegung eingesetzt hat. Viele Migranten aus Süd- und Mittelamerika, die eigentlich in den USA Asyl beantragen wollten, geben auf und kehren in ihre Heimatländer zurück.
Der Deal zwischen den USA und El Salvador sah bislang vor, straffällig gewordene Migranten in das gefürchtete Gefängnis Cecot abzuschieben. Das „Zentrum zur Eindämmung des Terrorismus“ wurde 2023 in der Nähe von Tecoluca eröffnet, zehntausende Gefangene finden in der riesigen Anstalt Platz. Der Regierung dient es bei ihrem Kampf gegen Gewaltkriminalität. Vor allem Mitglieder der venezolanischen Bande „Tren de Aragua“ sollen dort inhaftiert werden. Dem Kartell wird Drogenhandel, Zwangsprostitution, Schutzgelderpressung und organisierte Kriminalität vorgeworfen.
20.000 US-Dollar für jeden abgeschobenen Häftling
Von der US-Regierung bekommt die Regierung von Präsident Nayib Bukele rund 20.000 US-Dollar für jeden abgeschobenen Neu-Häftling. Nun bringt US-Präsident Donald Trump eine weitere Variante ins Spiel: Offenbar will der Republikaner auch Straftäter mit amerikanischem Pass nach El Salvador bringen lassen.
Für Aufsehen sorgte insbesondere die Abschiebung des salvadorianischen Einwanderers Kilmar Ábrego García, der mit einer US-Bürgerin verheiratet ist. Seine angebliche Bandenmitgliedschaft ist unbewiesen, zudem genoss er eigentlich juristischen Schutz in den USA. Der Oberste Gerichtshof der USA wies die Trump-Regierung an, sich für seine Freilassung aus dem Gefängnis in El Salvador und für seine Rückkehr in die USA einzusetzen. Die Trump-Regierung lehnt das ab. El Salvadors Präsident erklärte, er habe nicht die Macht, den Mann in die USA zurückzubringen.
Zuletzt stoppte eine US-Bundesrichterin vorübergehend Pläne der Trump-Regierung, hunderttausenden über ein Sonderprogramm rechtmäßig in die USA eingereisten Migranten aus Lateinamerika die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen. Die Richterin argumentierte, das Vorgehen der Regierung basiere auf einer fehlerhaften Auslegung des Einwanderungsrechts. Betroffen von Trumps Plänen wären mehr als 530.000 Menschen aus Kuba, Haiti, Nicaragua und Venezuela. Ihnen drohte die Abschiebung.
Sind also schon die Abschiebungen von Migranten nach El Salvador rechtlich umstritten, so wären Abschiebungen von US-Staatsangehörigen in ein Gefängnis eines anderen Landes erst recht eine rechtsstaatlich völlig neue Dimension der Beugung von Gesetzen. Bürgerrechtler und Rechtsexperten warnen, dass die Abschiebung von in den USA geborenen oder eingebürgerten US-Bürgern gegen die amerikanische Verfassung verstoße.
Trump lässt sich davon nicht aufhalten. „Wir haben auch einheimische Kriminelle, die Menschen vor U-Bahnen schubsen, die älteren Damen mit einem Baseballschläger auf den Hinterkopf schlagen, wenn sie wegschauen. Das sind absolute Monster“, argumentierte Trump am Wochenende am Rande des Besuchs von El Salvadors Präsident Bukele. „Ich würde sie gerne in die Gruppe derer einschließen, die wir aus dem Land schaffen wollen“, sagte Trump, räumte aber auch ein: „Man muss sich die Gesetze dazu ansehen.“
Präsident Bukele hat es da einfacher. Derzeit gilt er als der populärste Staatschef Lateinamerikas. Die letzten Wahlen gewann er nach offiziellen Angaben mit 83 Prozent, in der Nationalversammlung gibt es nur noch zwei oppositionelle Kandidaten. Bukeles Partei „Nuevas Ideas“ holte 58 der 60 Parlamentssitze. Die ehemals führenden Parteien Arena (rechts) und FLMN (links) sind pulverisiert. Damit hat Bukele praktisch allumfassende Macht und kann problemlos jedwedes Gesetz verabschieden, die Verfassung ändern lassen und Richterposten besetzen.
Die Popularität Bukeles speist sich auch aus seinen brachialen Methoden: Mit Massenverhaftungen im Rahmen eines nun schon seit März 2022 andauernden Ausnahmezustandes ließ er Bandenmitglieder der gefürchteten Mara-Gangs festnehmen. Sie sind für ihre Gewalt, Kleinkriminalität und ihre martialischen Tätowierungen bekannt.
In Rekordzeit ließ Bukele das Hochsicherheitsgefängnis Cecot bauen. Seit März 2022 wurden mehr als 80.000 Menschen verhaftet. Vom gefährlichsten Land der Region wurde El Salvador so zum sichersten Staat des Kontinents. Der Einzelhandel blühte wieder auf, weil die Schutzgelderpressungen aufhörten. Die Mordrate ging rapide zurück. Die Salvadorianer dankten es Bukele mit einem fulminanten Wahlsieg.
Es eint sie die Verachtung sozialistischer Politik
Menschenrechtsorganisationen kritisieren jedoch die Zustände in dem Gefängnis. Im vergangenen Jahr sagte ein mehrere Monate zu Unrecht im Cecot-Gefängnis inhaftierter Verwaltungsangestellter im Gespräch mit WELT: „Das Leben in diesem Gefängnis ist ein Inferno. Es gibt keinen Kontakt zur Familie, keinen Kontakt zu einem Anwalt.“
Freigekommen war er, weil sich Angehörige von Gefängnisinsassen an die Rechtshilfe der katholischen Kirche wandten. Diese konnte in einigen Fällen nachweisen, dass Inhaftierte aufgrund von gezielten Falschaussagen in dem Mega-Gefängnis landeten. Wie viele der aktuell 80.000 Menschen unschuldig einsitzen, ist nicht zu überprüfen, Schätzungen gehen von einigen tausend Menschen aus.
Die salvadorianische Menschenrechtsorganisation „Cristosal“ hat zudem nach eigenen Angaben ermittelt, dass zwei Drittel der aus den USA abgeschobenen Menschen sich legal in den Vereinigten Staaten aufgehalten hätten. Nur 17 Prozent besaßen demnach keine gültigen Aufenthaltspapiere für die USA. Fast 80 Prozent hätten sogar einen Arbeitsplatz gehabt.
Zugleich gilt Bukele als eine der Schlüsselfiguren für Trump in Lateinamerika. Er hat ein gutes Verhältnis zu dem US-Präsidenten und auch zu Elon Musk, war etwa Gastredner bei Veranstaltungen des konservativen Thinktanks CPAC. Gute Drähte hat er auch zu Argentiniens libertärem Präsidenten Javier Milei und Brasiliens rechtspopulistischem Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro. Sie alle verfolgen zwar unterschiedliche ideologische Ansätze, es eint sie aber die Verachtung sozialistischer Politik.
Für El Salvadors Regierung ist der Handel mit den USA aber vor allem ein finanzielles Geschäft. Nach offiziellen Angaben hat das Land bis Juni 2024 eine Staatsverschuldung von 30 Milliarden Dollar angehäuft, was in etwa 84 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Für die ersten 300 ins Cecot-Gefängnis abgeschobenen Migranten erhielt El Salvador rund sechs Millionen US-Dollar.
Sollte das Land, wie es in einigen Spekulationen aus Regierungskreisen heißt, bis zu 30.000 abgeschobene Migranten und Kriminelle aus den USA aufnehmen, würde es dafür 600 Millionen US-Dollar erhalten, was den Staatshaushalt spürbar entlasten würde. So wäre sogar der Bau eines zweiten Hochsicherheitsgefängnisses denkbar – und der Einstieg in einen lukrativen Menschenhandel mit Häftlingen.
Ende März veranstaltete die ehemalige linke Regierungspartei FMLN eine Solidaritätsaktion mit den abgeschobenen venezolanischen Migranten. FMLN-Generalsekretär Manuel Flores erklärte: „Unser Land mutiert zum Gefängnis von Donald Trump.“
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.