Die britische Medien- und Internetaufsicht Ofcom stellt im Laufe dieser Woche Verhaltensregeln vor, die verhindern sollen, dass Kinder und Jugendliche auf Plattformen wie Facebook, YouTube oder X nicht auf pornografische oder gewaltverherrlichende Inhalte stoßen.
Solche Inhalte seien zwar legal, aber für junge Menschen schädlich, heißt es aus dem Umfeld der Behörde. Daher müssten soziale Netzwerke, Suchmaschinen und Gaming-Dienste entsprechende Inhalte entweder komplett entfernen oder sie dürfen erst nach einer strikten Alterskontrolle zugänglich gemacht werden. Auch alternative Wege seien möglich, heißt es.
Die neuen Regeln sind Teil des Online-Sicherheitsgesetz (Online Safety Act), das nach zwei Jahren intensiver Diskussion 2023 vom britischen Unterhaus verabschiedet worden ist. Die einzelnen Vorgaben wurden aber seitdem schrittweise eingeführt.
Schon seit Mitte März sind Technologieunternehmen in Großbritannien verpflichtet, illegale Inhalte auf ihren Plattformen ausfindig zu machen und zu entfernen, sonst drohen empfindliche Geldstrafen. Betroffen sind rund 100.000 verschiedene Online-Dienste, außer sozialen Medien beispielsweise auch Online-Foren und Messaging-Apps.
Zu lange hätten Tech-Konzerne Sicherheit als nebensächlich betrachtet, sagte Peter Kyle, Minister für Wissenschaft, Innovation und Technologie, bei der Einführung dieser Regeln. Das ändere sich nun. „Der Online Safety Act ist nicht das Ende der Diskussion, sondern deren Grundlage.“
Doch inzwischen hat sich das Gesetz, das grundlegende Veränderungen beim Zugang zu sozialen Medien wie Facebook, X oder Instagram mit sich bringt, als Streitpunkt in den britisch-amerikanischen Handelsgesprächen herauskristallisiert.
Seit Wochen wird mit den USA über einen Handelsvertrag gesprochen
Großbritannien wurde von US-Präsident Donald Trump bei seiner Zoll-Ankündigung Anfang des Monats lediglich mit dem Basis-Satz von zehn Prozent belegt. Dazu kommen noch Zölle für Werkstoffe wie Stahl und ganze Wirtschaftszweige wie die Automobilindustrie.
Verhandlungen über einen Handelsvertrag laufen seit Wochen. Premierminister Keir Starmer und seine Ministerkollegen hoffen auf günstigere Konditionen und damit verbunden einen Wachstumsschub für die britische Wirtschaft.
Doch in den Verhandlungen sind laut britischen Medienberichten auch der Online Safety Act und die damit verbundenen strikteren Regeln zur Sprache gekommen, die die großen US-Tech-Konzerne treffen werden. Offiziell begründet werden diese Vorstöße von US-amerikanischer Seite mit der Sorge um die Meinungsfreiheit in Großbritannien.
Seit Monaten werfen Vertreter der US-Regierung der britischen Regierung vor, die freie Meinungsäußerung nicht ausreichend zu schützen. Im Februar beklagte Vizepräsident J. D. Vance „Eingriffe in die Meinungsfreiheit“ in Großbritannien.
Auch Elon Musk hat sich wiederholt in diese Richtung geäußert. Einer der Auslöser waren Haftstrafen für Personen, die im vergangenen Sommer nach dem Mord an drei Mädchen in Southport auf der Plattform X Falschinformationen zum Täter verbreitet und zu Unruhen aufgerufen hatten.
Die erheblichen Ausschreitungen nach den Ereignissen von Southport haben im Land eine intensive Debatte über Desinformation, Extremismus und gesellschaftlichen Zusammenhalt ausgelöst.
Hohe Strafen bei Verstößen
Tatsächlich hat der Online Safety Act im ersten Schritt illegale Inhalte in den Fokus genommen. Entfernt werden müssen unter anderem Videos oder Texte zum sexuellen Missbrauch von Kindern, Terrorismus, extremer sexueller Gewalt, Verkauf illegaler Drogen oder Waffen sowie die Förderung oder Unterstützung von Suizid oder Selbstverletzung.
Außerdem sind neue Straftatbestände hinzugekommen, etwa das sogenannte Cyber-Flashing, das Versenden unaufgeforderter sexueller Bilder im Internet, oder die Verbreitung von „Deepfake“-Pornografie.
Im nächsten Schritt steht im Vordergrund, Minderjährige vor bestimmten Inhalten zu schützen. Betroffen davon ist auch Material, das nicht illegal ist, aber für junge Menschen als ungeeignet oder gefährlich gilt.
Die Aufsichtsbehörde Ofcom kann von sozialen Medien, Suchmaschinen oder Messaging-Diensten schon heute verlangen, anstößiges Material unverzüglich zu entfernen. Wer darauf nicht reagiert, muss mit Geldbußen von bis zu zehn Prozent des weltweiten Umsatzes oder 18 Millionen Pfund (20,9 Millionen Euro) rechnen, je nachdem, welcher Betrag höher ist. In extremen Fällen kann die Aufsicht beantragen, Internetseiten in Großbritannien zu sperren.
Laut einer Untersuchung des Children’s Commissioner, der Behörde, die die Einhaltung von Kinderrechte überwacht, sind über die Hälfte der vom Team befragten 13-Jährigen auf sozialen Medien schon auf Hardcore-Pornografie und extrem frauenfeindliche Inhalte gestoßen. Onlinedienste, die Pornografie und Ähnliches anbieten, hätten viel zu lange ignoriert, dass Kinder auf ihre Angebote zugreifen, sagte Ofcom-Chefin Melanie Dawes. Die neuen Altersprüfungen sollen hier Abhilfe schaffen.
Trotzdem kommen die Vorschriften noch einmal auf den Prüfstand, sagte Starmer vor Ostern in einer Anhörung im Parlament. Gleiches gelte für die Steuer auf Digitaldienste, die seit 2020 gilt. Sie besteuert die Erlöse von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und Online-Marktplätzen im Land mit zwei Prozent. Rund 800 Millionen Pfund bringt das im Jahr ein.
Für Starmer ist eine Digitalsteuer nötig
„Es gibt Fragen, wie digitale Dienste angemessen besteuert werden sollten. Und auch Fragen dazu, wie Technologie mit Meinungsfreiheit in Einklang gebracht werden kann“, sagte Starmer. Für ihn sei aber klar, dass eine Form der Digitalsteuer nötig sei. Ebenso sei wichtig, dass Großbritannien ein Vorreiter bei der Meinungsfreiheit bleibe.
Die britische Regierung sei in einer heiklen Lage, sagte Alex Krasodomski, Programmdirektor Digital Society bei der Denkfabrik Chatham House. Jenseits des Atlantiks stoße die Digitalsteuer auf erheblichen Widerstand.
Als „Erpressung aus dem Ausland“ hat Trump das Zusammenspiel von Digitalsteuern und regulatorischen Vorgaben für US-Tech-Unternehmen bezeichnet. Im Inland sei die Abgabe dagegen beliebt. Ihre Abschaffung dürfte angesichts der jüngsten Streichungen bei Sozialleistungen besonders schwierig zu vermitteln sein.
„Großbritannien sollte sehr sorgfältig darüber nachdenken, wie viel Kontrolle das Land abzugeben bereit ist, um die Beziehungen zu den USA zu verbessern“, argumentierte Krasodomski. Die Regierung müsse einschätzen, inwieweit sie in der Lage ist, Technologien mitzugestalten und zu beeinflussen, auf denen große Teile der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Grundlagen beruhen – aber auch, ob Zugeständnisse an die USA tatsächlich Vorteile bringen.
Claudia Wanner schreibt für WELT vor allem über die britische Wirtschaft.
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