Tradium ist einer der wichtigsten Händler für Spezialmetalle in Deutschland. Neben Gallium und Germanium, die zur Chipherstellung benötigt werden, liefert die Firma auch seltene Erden für die Hightech-Industrie - an Industriekunden vom Mittelständler bis zum Dax-Konzern, aber auch an Privatkunden zur Geldanlage. Die Mineralien sind für die Herstellung von Lasern, Batterien, Magneten, Bildschirmen, Satelliten und vielen anderen Hightech-Produkten unersetzlich. Autokonzerne und Maschinenbauer brauchen sie genauso für die Produktion von Elektromotoren, Robotern und Turbinen wie Rüstungsfirmen zur Herstellung von Smart Bombs und Drohnen. Im Gespräch mit ntv.de erklärt Tradium-Geschäftsführer Matthias Rüth, welchen Schaden Chinas Exportkontrollen in der deutschen Industrie anrichten könnten.
ntv.de: Zum ersten Mal überhaupt hat China Exportgenehmigungen für sieben sogenannte schwere seltene Erden eingeführt. Wie stark ist die weltweite Versorgung nun gefährdet?
Matthias Rüth: Sehr gefährdet. Man muss nur einen Blick in die Vergangenheit werfen. 2010 hat China schon einmal im Streit um Hoheitsgewässer im Ostchinesischen Meer die Exporte nach Japan gestoppt. Die Preise haben daraufhin kontinuierlich angezogen. Erst als die Restriktionen gelockert wurden, sind sie wieder gefallen. Die Welt ist bei seltenen Erden fast vollständig abhängig von China. Peking dominiert mindestens 95 Prozent des Marktes und ist deshalb in der allerbesten Position, Amerika und auch den Rest der Welt in die Schranken zu weisen.
Wie stark sind die Einschränkungen der Exporte bislang zu spüren?
Am Markt herrscht eine große Nervosität. Wir haben viele Anfragen. Aber für seltene Erden wie Terbium und Dysprosium sind Angebotskalkulationen momentan schwierig, weil wir keine seriöse Preisbasis für die Wiederbeschaffung haben. Bei uns hängt aktuell Material in China im Zoll fest, und wir wissen Stand jetzt noch nicht, wie es weitergeht. In unserem Lager in Frankfurt haben wir mehr als 300 Tonnen Material physisch liegen. Keiner unserer Bestandskunden muss sich um die Versorgungssicherheit Gedanken machen. Aber weil wir nicht wissen, was die Rohstoffe in Zukunft kosten werden, ist das für uns natürlich eine herausfordernde Situation.
Wird es bloß eine Pause der Exporte geben, bis die neue Bürokratie eingeführt ist? Oder ist das der Auftakt zu einem echten Handelsstopp?
Ich vermute, dass das Ziel ist, die Muskeln spielen zu lassen und dem Rest der Welt zu zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. Schon 2023 hat China Exportkontrollen für Gallium und Germanium eingeführt und parallel angefangen, eine strategische Lagerhaltung aufzubauen. Schätzungsweise 150 Tonnen Germanium wurden in China eingelagert - ungefähr die Produktion eines ganzen Jahres. Der Preis hat sich daraufhin etwa verdoppelt. Man erkennt die wirtschaftliche Macht Pekings, und zeitgleich unterstreicht China die eigene Marktposition im Welthandel. Die Exporte von Germanium haben sich bis heute nicht vollständig erholt.
Wie groß ist die Gefahr für die deutsche Industrie?
Wenn China die Situation weiter eskalieren lässt, wird es auf jeden Fall Versorgungsengpässe geben. Es gibt nur begrenzt Alternativen. Als rohstoffverarbeitendes Unternehmen hätte ich mir schon längst einen Lagerbestand für drei bis sechs Monate aufgebaut. Aber der überwiegende Teil der Industrieverbraucher kauft just in time, mit Lieferung wenige Tage nach Bestellung, auch weil sie kennzahlenorientiert arbeiten und die Kapitalbindung vermeiden wollen. Die Frage ist, wie lange das noch gutgeht.
Wie schnell würde bei einem Handelsstopp die Versorgung mit seltenen Erden und Seltenerd-Magneten in Deutschland zusammenbrechen?
Da reden wir vielleicht über wenige Wochen. Ich glaube nicht, dass viele Betriebe nennenswerte Bestände haben. Aus unserem Kundenkreis fallen mir nur wenige Industriefirmen ein, die einen Sicherheitspuffer angelegt haben. Oder die ihre Verträge mit uns rollierend verlängern, aus genau diesen strategischen Gründen. Die Welt ist extrem abhängig von China. Alle Firmen ohne Lagerbestand werden jetzt sehr schnell Kopfschmerzen bekommen.
Ist das bei Ihren Kunden schon angekommen?
Die meisten stellen ähnliche Fragen wie Sie. Panik gibt es zwar nicht, aber sie sind mindestens nervös, wenn nicht angespannt. Wir wissen derzeit nicht genau, wie es in China weitergeht. Wenn ich jetzt seltene Erden für meine Produktion bräuchte, würde ich auf jeden Fall sehr schlecht schlafen. Im Moment bleibt nur, die Entwicklungen genau zu beobachten.
In welchen Branchen drohen die größten Engpässe?
In allen Wirtschaftszweigen, die auf seltene Erden angewiesen sind, dürfte es Schwierigkeiten geben, von der Magnetherstellung bis zur Elektronikindustrie. Wenn bei Volkswagen nur der Stoff für die Sitzbezüge fehlt, steht die Produktion schon still. Da ist es nicht schwer sich vorzustellen, dass bei den fehlenden Sicherheitspuffern für kritische Rohstoffe das eine oder andere Band zumindest ruckelt oder Firmen trockenlaufen. Oder dass Beschaffungskosten in die Höhe schnellen.
Braucht Deutschland künftig eigene Quellen für seltene Erden? Wie schnell könnte man hier Produktionsanlagen aufbauen?
Versuche dazu gab es ja sogar schonmal, vor über zehn Jahren in Storkwitz in Sachsen, damals die einzige Lagerstätte in Europa. Da wurde anfänglich mit viel Optimismus gefördert, aber die Wirtschaftlichkeit war aus mehreren Gründen nicht gegeben: Die Konzentration der Rohstoffe im Ausgangsmaterial war zu gering, die Lagerstätte stellte sich als zu klein heraus, und die Produktionskosten in Europa waren nicht konkurrenzfähig mit China. Man sieht daran: Von einem reinen Vorkommen bis zur Produktion eines Rohstoffs zu wettbewerbsfähigen Preisen ist es ein weiter Weg. Auch bei den kürzlich entdeckten Vorkommen in Skandinavien gibt es Schwierigkeiten, etwa Umweltschutz und Genehmigungsverfahren. Bei der Aufbereitung zeigen sich ebenfalls Probleme. Man könnte solche Anlagen sogar in Deutschland errichten, aber nicht von heute auf morgen.
Muss Deutschland also hilflos zuschauen, wie der Handelskrieg zwischen Peking und Washington immer weiter eskaliert?
Kein Konflikt dauert ewig. Man kann nur hoffen, dass sich die Gemüter in nächster Zeit wieder beruhigen, weil alle hoffentlich verstehen, dass es bei einer Eskalation nur Verlierer gibt. Aber in der Zwischenzeit hätte Deutschland längst eine strategische Reserve an seltenen Erden und anderen kritischen Rohstoffen aufbauen können. Beim Öl gibt es das seit Jahrzehnten, und die Bundesregierung hat Milliarden dafür ausgegeben. Doch bei solch unersetzlichen Mineralien ist außer Gedankenspielen so gut wie nichts passiert - trotz aller Warnsignale aus China. Jedenfalls hat uns bisher niemand dazu kontaktiert.
Mit Matthias Rüth sprach Hannes Vogel
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