Gazelle Sharmahd erscheint in Begleitung von Personenschützern in den Redaktionsräumen von WELT. Schließlich ist ihr Vater Jamshid vor Jahren in Dubai von iranischen Agenten entführt und im Oktober hingerichtet worden. Es ist durchaus plausibel, dass auch seine Tochter in Gefahr schwebt, auch hier in Deutschland wo sie aufgewachsen ist. Aber noch jemand begleitet Sharmahd: Mariam Claren unterstützt Sharmahd bei ihren Aktivitäten in Deutschland. Clarens Mutter Nahid Taghavi war ebenfalls im Iran inhaftiert, kam aber im Januar frei. Trotz der unterschiedlichen Schicksale sind die Töchter weiterhin ein Team.

WELT: Frau Sharmahd, als wir uns zum letzten Mal in Berlin getroffen haben, kämpften Sie um das Leben Ihres Vaters. Jetzt sind Sie in die deutsche Hauptstadt gekommen, um seinen Leichnam in Empfang zu nehmen. Was bedeutet das für Sie?

Gazelle Sharmahd: Wenn ich nur um sein Leben gekämpft hätte, dann wäre das jetzt eine Niederlage für mich. Aber ich kämpfe auch darum, seinen Weg fortzuführen. Er war ja kein zufälliges Opfer, er wollte die Stimme der Menschen im Iran gegen Islamismus, Dschihadismus, gegen dieses Regime hörbar machen. Das ist ihm gelungen, auch indem er selbst ums Leben gekommen ist – jetzt muss die Welt hingucken. Auf dieses Terrorregime, das vor einem einzelnen Menschen so viel Angst hat, dass es ihn ermorden will. Ich bin nicht hier, um abzuschließen, sondern um etwas anzufangen: Die sogenannte Islamische Republik muss zur Rechenschaft gezogen werden für ihre Taten. Aber Sie haben recht, eigentlich hatte ich gehofft, dass ich einmal mit meinem Vater in Berlin sitzen kann und wir gemeinsam seine Geschichte erzählen. Es ist schrecklich für mich, dass er das nicht mehr kann. Und dass wir so versagt haben. Dass Deutschland ihn nicht retten wollte.

WELT: Da sind Sie sich ganz sicher? Die Bundesregierung wollte das Leben des deutschen Staatsbürgers Jamshid Sharmahd nicht retten?

Sharmahd: Ja, natürlich. In den letzten Monaten sind schließlich mehrere europäische und amerikanische Geiseln im Iran freigelassen worden, für erhebliche Gegenleistungen.

WELT: Darunter die deutsche Staatsbürgerin Nahid Taghavi, die im Januar freikam.

Sharmahd: Vertreter der Bundesregierung haben mir immer neue Gründe genannt, warum es bei meinem Vater schwieriger sei – weil man keine Deals mit dem Regime mache, weil mein Vater eine doppelte Staatsbürgerschaft habe, weil er im Iran geboren wurde und so weiter. Dabei sind mehrere Personen freigekauft worden, auch Doppelstaatler und im Land geborene. Die Führung im Iran hat auch offen erklärt, was sie als Gegenleistung für die Freilassung meines Vaters wollte: die Freilassung des iranischen Diplomaten Assadullah Assadi, der wegen Verwicklung in ein Terrorattentat in Belgien inhaftiert war, und die Entsperrung von 2,5 Milliarden US-Dollar von im Ausland eingefrorenen iranischen Guthaben. Berlin hat auf dieses Angebot innerhalb der vorgegebenen Frist von 60 Tagen nicht einmal geantwortet. So zeigt man, dass einem das Leben von jemandem gleichgültig ist.

WELT: Sie meinen, Ihr Vater hatte für die Bundesregierung nicht dieselbe Bedeutung, wie etwa Frau Taghavi, die freikam?

Sharmahd: Mein Vater ist eine der Personen, die seit Jahren offen verurteilt haben, dass die deutsche Regierung im Iran mit einem islamistischen Regime zusammenarbeitet, mit Terroristen. Dass deutsche Unternehmen Geschäfte mit diesem Regime machen. Wäre er gerettet worden, dann hätte seine Kritik noch deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen. Da geht es um Geld, da gibt es Lobbygruppen. Das ist das Problem. Ich weiß, das klingt wie eine Verschwörungstheorie, aber ich sehe keine andere schlüssige Erklärung.

WELT: Nach langem diplomatischem Ringen hat Teheran den Leichnam Ihres Vaters im Februar nach Deutschland überstellt, wo er obduziert werden sollte. Zu den Umständen seines Todes hieß es von iranischen Stellen zuerst, er sei hingerichtet worden, dann, dass er in der Haft verstorben sei. Wissen Sie jetzt mehr über die Umstände und die Ursache seines Todes?

Sharmahd: Das Regime hat seinen Körper freigegeben, um zu demonstrieren, was denen droht, die sich gegen das Regime wenden. Zunächst wurde gemeldet, mein Vater sei exekutiert worden. Erst als die Bundesregierung in der Folge iranische Konsulate in Deutschland schloss, kam Teheran mit der Behauptung, er sei eines natürlichen Todes gestorben. Wir haben gefordert, dass sein Leichnam nach Deutschland gebracht und obduziert wird, und sind davon ausgegangen, dass deutsche Staatsanwälte das in einem solchen Fall ohnehin veranlassen würden. Stattdessen mussten wir die Obduktion eigens beantragen. Und während man in anderen Ländern binnen 24 Stunden ein Ergebnis bekommt, liegt für meinen Vater noch immer kein abschließender Bericht vor – nach mehr als zwei Monaten.

WELT: Gibt es denn eine Begründung für diese lange Dauer der Obduktion?

Sharmahd: Offenbar ist das Material für die Obduktion nicht vollständig. Das kann der Vertuschung einer Hinrichtung dienen oder auch einfach Teil der psychologischen Kriegsführung des iranischen Regimes gegen uns sein. Mein Vater hat eine Ehefrau hinterlassen, die bis zu seiner Verschleppung jahrzehntelang fast jeden Tag mit ihm verbracht hat und seine Enkelin, meine vierjährige Tochter, die ihren Opa nur von Fotos kennt. Diese Situation ist für uns alle sehr schwer zu ertragen.

WELT: Der voraussichtlich neue Bundeskanzler Friedrich Merz hat vor zwei Jahren die politische Patenschaft für Ihren Vater übernommen. Welche Bedeutung hatte das? Und was erwarten Sie in Zukunft von ihm in Sachen Iran?

Sharmahd: Herr Merz hat im Fall meines Vaters Großes geleistet. Als er die politische Patenschaft angenommen hat, hatten wir plötzlich die Aufmerksamkeit der Medien. Da wusste halb Deutschland zumindest, wer mein Vater war, was passiert ist. Das haben wir Herrn Merz zu verdanken. Er hat uns auch in Kalifornien besucht. Man merkte, dass es ihm ein persönliches Anliegen war. Eine politische Patenschaft sollte aber nicht aufhören, weil die Geisel ermordet worden ist. In einer Talkshow, wo wir zusammen eingeladen waren, hat er gesagt, dass Deutschland die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu einem Terrorstaat abbrechen müsse, in dem Todesurteile gegen deutsche Staatsbürger vollstreckt werden. Im Koalitionsvertrag findet sich das nicht wieder. Aber Friedrich Merz hat ja jetzt die Gelegenheit zu zeigen, dass er es ernst meint.

WELT: Am Anfang unseres Gesprächs haben Sie gesagt, Sie wollten das politische Engagement Ihres Vaters fortsetzen. Er wird als Royalist beschrieben. Sind auch Sie für eine Wiederrichtung der Pahlevi-Monarchie, die den Iran bis zur Revolution 1979 regierte?

Sharmahd: Wie mein Vater bin ich der Ansicht, dass die Iraner selbst über ihre Zukunft entscheiden sollten, in freien und demokratischen Wahlen. Das sieht auch Kronprinz Reza Pahlevi so, der heute in den USA lebt.

WELT: Wenn Sie sich jetzt stärker für die iranische Opposition einsetzen, bedeutet das auch Lebensgefahr für Sie.

Sharmahd: Diese Gefahr ist mir spätestens seit 2009 bewusst, als das islamische Regime zum ersten Mal versuchte, meinen Vater zu ermorden, damals in den USA. Aber bisher war ich die Tochter und konnte mich leichter im Hintergrund halten. Heute bin ich nicht mehr die Tochter. Und mein Vater ist ein Teil von mir.

Daniel-Dylan Böhmer, Senior Editor im Ressort Außenpolitik, bereist die Länder des Nahen Ostens seit Jahrzehnten. Er befasst sich vor allem mit regionalen und globalen Sicherheitsthemen und wird regelmäßig als Experte in nahöstlichen TV- und Radiosendern befragt.

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