Über Stunden stiegen immer neue Rauchwolken in den Himmel, begleitet von endlosen Explosionen von Artilleriegranaten und Minen. Dazu kam das Surren von Raketen, die ziellos durch die Gegend flogen. Am Dienstag war eines der Hauptlager der russischen Armee mit rund 100.000 Tonnen Munition buchstäblich pulverisiert worden. Vom 51. GRAU-Arsenal bei Kirschatsch im Nordosten von Moskau, etwa 500 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, ist nichts mehr übrig.

Russische Behörden nannten ein Feuer als Ursache, das durch nicht fachgerechtes Vorgehen entstanden sein soll. Wahrscheinlicher ist jedoch ein ukrainischer Angriff. Kiew zerstört schon seit mehr als einem halben Jahr gezielt russische Militäreinrichtungen mit neu entwickelten Marschflugkörpern und Langstreckendrohnen. Hunderte von Operationen haben ukrainische Geheimdienste mittlerweile innerhalb des Staatsgebiets der Russischen Föderation durchgeführt.

Die Attacken richten sich nicht nur gegen Munitionsdepots, Militärflughäfen und Logistik, sondern auch gegen die Ölinfrastruktur des Feindes. Diese sogenannten Deep Strikes zählen zu einer wichtigen, strategischen Waffe der Ukraine. Kurzfristig mögen sie keine spürbaren Erfolge bringen, mittel- und langfristig jedoch schon. Russland hat bereits jetzt Nachschubprobleme bei der Munition, die nur durch Lieferungen aus dem verbündeten Nordkorea überbrückt werden können.

Die Produktion der Ölraffinerien war infolge der Angriffe im letzten Jahr um mindestens zehn Prozent gesunken, was Moskau dazu zwang, ein Exportverbot für Benzin zu erlassen. Die ukrainischen Attacken belasten inzwischen den russischen Staatshaushalt, aus dem rund 40 Prozent in die Bereiche Militär und Sicherheit fließen.

Zusätzlich belastet wird das russische Budget durch die sinkenden Ölpreise, die US-Präsident Donald Trump mit seiner umstrittenen Zollpolitik provoziert hat. Der Export fossiler Energieträger ist eine Haupteinnahmequelle Moskaus, mit der es den Ukraine-Krieg finanziert.

Donald Trumps letztes Angebot

Die zunehmende wirtschaftliche Schieflage mit hoher Inflation, Zinsen von mehr als 20 Prozent und stark steigenden Staatsausgaben könnte der Grund dafür sein, warum Wladimir Putin von seinen apodiktischen Bedingungen für ein Kriegsende in der Ukraine scheinbar abweicht. Einem Bericht der „Financial Times“ zufolge soll der russische Machthaber seine bisherigen Gebietsansprüche auf die vier ukrainischen Regionen Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja aufgeben und den gegenwärtigen Frontverlauf als Demarkationslinie akzeptieren. Putin soll dies gegenüber dem US-Sondergesandten Steve Witkoff während eines Treffens in Sankt Petersburg Anfang des Monats in Aussicht gestellt haben.

Auf dieser Option basiert wohl Präsident Trumps „letztes Angebot“ („final offer“), einem nur eine Seite langem Dokument, das Washington den beiden Konfliktparteien vorgelegt haben soll. Laut „Axios“ müsse die Ukraine demnach die russische Kontrolle über fast alle seit Kriegsbeginn 2022 besetzten Gebiete und auch der bereits vor elf Jahren annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim „de facto“ anerkennen. Im Gegenzug könne Kiew zwar nicht der Nato, aber der EU beitreten und erhielte eine „robuste Sicherheitsgarantie“ durch eine Ad-hoc-Gruppe europäischer Länder sowie möglicherweise weiterer nicht europäischer Staaten.

Das Weiße Haus fordert eine baldige Einigung in der Frage, andernfalls würde es sich aus den Verhandlungen zurückziehen. Doch eine schnelle Entscheidung ist eher unwahrscheinlich. Am Mittwoch begannen zwar neue Gespräche über einen Waffenstillstand in London zwischen Großbritannien, Frankreich, Deutschland, der Ukraine und den USA. Doch das überraschende Fernbleiben von US-Außenminister Marco Rubio dämpfte die Erwartungen an schnelle Fortschritte. Das amerikanische Außenministerium habe Rubios Abwesenheit mit Terminproblemen begründet, aber es deute an, dass die Chancen auf einen Durchbruch in London begrenzt seien, meldete die Nachrichtenagentur PA.

Rubios Absage erfolgte kurz nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Gebietsabtretungen ausgeschlossen hatte. „Da gibt es nichts zu bereden. Das steht außerhalb unserer Verfassung“, sagte er in Kiew. Auch für Russland dürfte der Vorschlag kaum annehmbar sein, wäre er doch letztendlich das Eingeständnis einer Niederlage.

Seine erklärten Ziele hat der Kreml auch nach drei Jahren Krieg und Hunderttausenden gefallenen russischen Soldaten nicht erreicht. Ende März 2022 hielt Russland noch 30 Prozent der Ukraine besetzt. Heute sind es nur noch 19 Prozent. Keine der von Moskau offiziell annektierten vier ukrainischen Oblaste steht vollständig unter russischer Kontrolle. Europäische Schutztruppen in der Ukraine wären am Ende das genaue Gegenteil von dem, was Putin mit seinem Angriffskrieg hatte erreichen wollen.

Eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld ist ebenfalls nicht in Sicht. Die vor einem Jahr gestartete russische Großoffensive hat sich in den vergangenen Monaten signifikant verlangsamt. An manchen Frontabschnitten, wie etwa im seit Monaten schwer umkämpften Pokrowsk, ist der Vorstoß ganz zum Stillstand gekommen. Laut der Open-Source-Intelligence-Plattform DeepState sind die russischen Gebietsgewinne seit Beginn des Winters kontinuierlich zurückgegangen.

Die Ukraine hat die Frontlinie stabilisiert

Im März hat Moskau nur noch 133 Quadratkilometer entlang der mehr als 1000 Kilometer langen Front erobert, die niedrigste monatlich eroberte Fläche seit Juni 2024. Im November waren es noch 725 Quadratkilometer gewesen. Die russische Armee konnte laut dem Institute for the Study of War (ISW) von April 2024 bis März 2025 insgesamt 4772 Quadratkilometer besetzen. Das entspricht nicht einmal einem Prozent des gesamten Territoriums der Ukraine, die Halbinsel Krim und den Donbass eingerechnet.

Mehrere Faktoren halfen Kiew, den russischen Vormarsch zu stoppen: erfolgreiche Angriffe der ukrainischen Drohneneinheiten, vermehrte Angriffe der Luftwaffe sowie neue elektronische Abwehrmittel gegen die gefürchteten russischen Gleitbomben. Eine entscheidende Rolle dürfte auch die Erschöpfung der russischen Armee spielen, die sich seit mehr als einem Jahr in der Offensive befindet. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres soll Moskau ukrainischen Angaben zufolge bis zu 100.000 Soldaten durch Tod oder Verwundung verloren haben.

„Sie greifen nur noch in kleinen Gruppen mit drei, vier Leuten an“, berichteten ukrainische Soldaten im März im Gespräch mit WELT. „Auch Fahrzeuge scheinen ihnen ausgegangen zu sein“, ergänzte ein Kommandeur einer Frontstellung, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollte. „Früher rollten beinahe täglich gepanzerte Kolonnen auf uns zu, aber das kommt heute nur noch selten vor.“

Auf der anderen Seite konnte die Ukraine zwischen April 2024 und März 2025 nur 77 Quadratkilometer gutmachen. In der russischen Oblast Kursk haben Kiews Streitkräfte nahezu alle im vergangenen August eroberten Gebiete wieder verloren. Ende März kontrollierten sie von den ehemals 1300 Quadratkilometern nur noch 70, wie DeepState berichtete. Dafür sind ukrainische Truppen weiter südlich in die russische Region Belgorod eingedrungen und sollen dort rund 15 Quadratkilometer kontrollieren.

Russland setzt ein enormes Aufgebot an Infanterie ein, um die Ukrainer wieder über die Grenze zurückzudrängen. Kiews Ziel ist es, möglichst viele russische Einheiten in diesem Gebiet zu binden, um sie von einer Beteiligung am Vorstoß in die Region Sumy abzuhalten. Ende März hatte Präsident Selenskyj bereits vor einer neuen russischen Frühjahrs- und Sommeroffensive in Sumy und Charkiw gewarnt.

Zwei Wochen später hatte der ukrainische Oberkommandierende Oleksandr Syrskyj bekannt gegeben, dass die Offensive begonnen habe. „Seit mehreren Tagen beobachten wir fast eine Verdoppelung der feindlichen Angriffe in allen Hauptrichtungen an der Front“, sagte der General. Moskau soll in der Grenzregion zu Sumy insgesamt über rund 60.000 Soldaten verfügen, darunter rund 10.000 Soldaten aus Nordkorea.

Alfred Hackensberger hat seit 2009 aus mehr als einem Dutzend Kriegs- und Krisengebieten im Auftrag von WELT berichtet. Vorwiegend aus den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens wie Libyen, Syrien, dem Irak und Afghanistan, zuletzt aber auch aus Bergkarabach und der Ukraine.

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