Im Fernduell um eine der ölreichsten Regionen der Welt bahnt sich eine Eskalation an. Es geht um rund 15 Milliarden Barrel Öl, die amerikanische Spezialisten in der Region Essequibo in Guyana ausfindig gemacht haben. Die Förderung der Reserven hat das Bruttoinlandsprodukt des kleinen südamerikanischen Landes sprunghaft ansteigen lassen – neidisch verfolgt vom Nachbarn Venezuela.

Die dort regierende linksextreme Militärdiktatur hat nach den Ölfunden ihren Anspruch auf die Region wieder aufleben lassen. Machthaber Nicolas Maduro beruft sich auf Besitzverhältnisse, die während der Nachwehen der britischen Kolonialzeit in der Region entschieden wurden. Die derzeitigen Grenzen zwischen Guyana und Venezuela wurden 1899 in einem Schiedsspruch eines Tribunals in Paris festgelegt, das die USA und Großbritannien veranlasst hatten. Venezuela beruft sich jedoch auf ein Abkommen mit London aus dem Jahr 1966 – wenige Monate, bevor die damalige Kolonie Britisch-Guayana unabhängig wurde. Dieses sah eine Verhandlungslösung vor.

Der Konflikt schwelt seit Monaten – und Maduro gießt weiter Öl ins Feuer. Im März überraschte er die Weltöffentlichkeit mit der angeblichen Enthüllung, es sei eine „Operation unter falscher Flagge“ geplant. Es gebe Pläne, so Venezuelas Diktator, die Plattform des amerikanischen Ölkonzerns ExxonMobil, der das Öl in Guyana fördert, zu „bombardieren“. Das inszenierte Attentat solle dann Caracas in die Schuhe geschoben werden. Vizepräsidentin Delcy Rodriguez legte nach, das Komplott verfolge die „Absicht, Vergeltungsmaßnahmen und feindliche Aktionen gegen unsere Nation zu rechtfertigen.“

Zudem bekam die Ölplattform Liza Destiny an Guyanas Küste Besuch von der venezolanischen Marine. „Gemäß Ihrer derzeitigen geografischen Position agieren Sie in der ausschließlichen Wirtschaftszone der Bolivarischen Republik Venezuela, die sich in einem Rechtsstreit mit Guyana befindet. Ihre Handlungen werden nach den Vorschriften des venezolanischen Staates beurteilt“, ließ das Militärschiff die Besatzung der Ölplattform wissen.

Guyanas Premierminister Mark Phillips berichtete wenig später auf dem Gipfeltreffen der Staaten aus Lateinamerika und der Karibik (CELAC) in Honduras: „Unsere Souveränität und die Integrität unseres Territoriums sind nach wie vor ernsthaft bedroht“. Seine eindringliche Botschaft richtete sich an ranghohe Teilnehmer wie Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, Kolumbiens Staatschef Gustavo Petro und Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum. Ein zur Abkühlung des Streits abgeschlossenes Abkommen habe Venezuela mehrfach gebrochen, so Phillips.

Und das Maduro-Regime provoziert weiter – zuletzt mit einem eigenen Gouverneurskandidaten für die 160.000 Quadratkilometer große Region Essequibo. Nach Maduros Willen soll Admiral Neil Villamizar künftig die an „Großvenezuela“ angeschlossene Provinz verwalten. Gewählt wird in Venezuela am 25. Mai, neue Landkarten sind schon gedruckt.

Die 1999 noch mit großer Mehrheit der Bevölkerung getragene sozialistische Revolution in Venezuela unter dem 2013 verstorbenen Hugo Chavez hat sich längst zu einer der brutalsten Militärdiktaturen Lateinamerikas entwickelt. Maduro hat den Rückhalt des Volkes verloren und kann seine Macht nur noch mit Generälen an den Schlüsselpositionen sichern, denen schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Folter und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen werden.

Im Juli vergangenen Jahres hatte Maduro die Präsidentschaftswahlen nach Einschätzung internationaler Wahlbeobachter deutlich verloren, obwohl er zuvor nahezu allen aussichtsreichsten Kandidaten eine Kandidatur untersagt hatte. Trotzdem erklärte er sich zum Wahlsieger. „Nach dem Verlust der Präsidentschaftswahlen versucht das Maduro-Regime mit allen Mitteln, seine Legitimität und Popularität aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang instrumentalisiert es den territorialen Konflikt mit Guyana gezielt für innenpolitische Zwecke“, sagt Lateinamerika-Expertin Diana Luna von der Friedrich-Naumann-Stiftung.

USA stehen fest an Guyanas Seite

Der Anspruch auf die ölreiche Region ist in Venezuela durchaus populär und wird sogar von der Opposition geteilt. Das Maduro-Regime hat sich allerdings längst von allen internationalen Rechtsgrundlagen verabschiedet. Caracas erklärte bereits, einen Richterspruch des Internationalen Gerichtshofs in der Frage niemals anerkennen zu wollen.

Die Auswirkungen des Konflikts reichen längst über Lateinamerika hinaus. „Die USA betrachten die Region traditionell als Teil ihres geopolitischen Einflussbereichs. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch Großbritannien haben in der Vergangenheit wiederholt deutlich gemacht, dass sie fest an der Seite Guyanas stehen“, sagt Lateinamerika-Expertin Luna.

Die USA, aber auch Brasilien und zahlreiche karibische Staaten hätten kein Interesse an einer Eskalation des Konflikts. „In dieser Hinsicht ist Venezuela zunehmend isoliert.“ Als Verbündete für Caracas bleiben Russland und China, die großes Interesse daran haben, einen strategischen Partner direkt vor der Haustür der USA zu haben. Ein militärischer Konflikt, der Washington bindet, wäre also durchaus im Interesse Moskaus und Pekings.

Für den Fortgang der Auseinandersetzung um Essequibo wird also auch die Positionierung der drei Supermächte eine Rolle spielen. US-Präsident Donald Trump ließ den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zuletzt wissen, es müsse als Sicherheitsgarantie für Kiew ausreichen, wenn amerikanische Unternehmen und Personal im Land tätig seien. In Guyana sind sie das.

Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.

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