Tomas Pojar ist der Nationale Sicherheitsberater der tschechischen Regierung – und damit eine der einflussreichsten Stimmen in Prag. Das liegt nicht allein an der erst 2022 geschaffenen Position, sondern an dem 51-Jährigen selbst. Pojar war mehrfach Verhandlungsführer für die tschechische Regierung und viele Jahre Mitarbeiter des Außenministeriums sowie Botschafter in Israel. Bereits sein Vater, der bekannte Autor und Historiker Milos Pojar, war von 1990 bis 1994 Botschafter in Israel, damals für die Tschechoslowakei.

Gerade war Pojar mehrere Tage für Gespräche mit deutschen Diplomaten und Politikern in Berlin. WELT trifft ihn in der Residenz des tschechischen Botschafters.

WELT: Herr Pojar, im Mai nun wird Friedrich Merz voraussichtlich zum Bundeskanzler gewählt. Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Tomas Pojar: Erst einmal freuen wir uns, bald mit der neuen Bundesregierung zusammenzuarbeiten. Denn es gibt viele Themen in unserem bilateralen Verhältnis, die wir angehen müssen. Da ist zum Beispiel unsere gemeinsame Grenze, für Tschechien wie auch für Deutschland ist sie die längste Grenze zu einem Nachbarland. Migration, Verkehr und Handel spielen dabei eine Rolle. Darüber hinaus brauchen wir eine starke, entschiedene deutsche Stimme in der EU, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, zu deregulieren und Anpassungen am Green Deal vorzunehmen. Letzteres ist unerlässlich, um global wettbewerbsfähig zu werden. Dazu müssen wir darüber reden, wie wir gemeinsam mehr in Verteidigung investieren und auch künftig die Ukraine unterstützen können. Wir erleben gerade eine gewaltige Veränderung im transatlantischen Verhältnis; ein Trend, der schon unter Barack Obama seinen Anfang nahm und während der ersten Amtszeit von Donald Trump an Fahrt aufnahm, beschleunigt sich jetzt erneut. Deswegen sind höhere Verteidigungsausgaben umso wichtiger, auch um das transatlantische Verhältnis zu erhalten.

WELT: Die neue Bundesregierung wird sehr viel Geld für Verteidigung ausgeben können. Die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse gilt für Verteidigungsausgaben nicht mehr. Sich in dem Maß zu verschulden, wird in Deutschland kontrovers diskutiert. Wie bewerten Sie das?

Pojar: Ich denke, das ist im Angesicht der internationalen Bedrohungslage notwendig. Dazu aber sollten wir das auch als Gelegenheit für die europäische Verteidigungsindustrie betrachten. Rüstungsinvestitionen sind im Idealfall auch immer Investitionen in die eigene Wirtschaft und Innovationskraft – und ohne eine starke Wirtschaft können wir keine leistungsfähige Verteidigung aufbauen.

WELT: Die tschechische und die deutsche Wirtschaft sind eng miteinander verflochten. Welche Potenziale bietet das für den Rüstungssektor?

Pojar: Wir sind der Anschaffungsinitiative für den Kampfpanzer Leopard 2A8 beigetreten. Wir fordern allerdings eine industriepolitische Zusammenarbeit mit unseren deutschen Partnern, sodass auch die tschechische Industrie von der Anschaffung profitiert. Tschechien erhöht seine Verteidigungsausgaben auf drei Prozent des Bruttosozialprodukts. Ich denke, beim kommenden Nato-Gipfel werden wir uns auf eine Anhebung um einen Prozentpunkt einigen. Wir sollten also mit Mehrinvestitionen von 200 Milliarden Euro rechnen. Länder mit einer starken Rüstungsindustrie, wie Deutschland, werden davon profitieren, Tschechien auch.

WELT: Sie haben bereits die Grenze zwischen Deutschland und Tschechien erwähnt. Friedrich Merz möchte die deutsche Migrationspolitik verschärfen und unter anderem mehr Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Grenzen ermöglichen. Was würde das für Tschechien bedeuten?

Pojar: Wir sind froh, dass sich das deutsche Denken beim Thema Migration unserer Sichtweise annähert. Die mit Abstand meisten Länder in Europa wollen eine deutlich härtere Migrationspolitik, so wie es ist, kann es nicht bleiben. Wir führen Zurückweisungen bereits an unserer Grenze zur Slowakei durch, auch mit Österreich, und die Zusammenarbeit klappt gut. Es muss einen effektiven Grenzschutz zwischen unseren Staaten geben, bis der Außengrenzschutz der EU gestärkt ist. Deutschland wird eine härtere Migrationspolitik betreiben müssen und wir müssen uns alle darauf einstellen. Wenn wir zusammenarbeiten, etwa ausreichend Informationen austauschen, dann ist das für beide Seiten vorteilhaft. Wenn es keine langen Staus an der Grenze gibt und es keine negativen wirtschaftlichen Folgen geben wird, sind wir mit den neuen deutschen Verfahren einverstanden.

WELT: Kurz und knapp, Zurückweisungen von Migranten ohne gültige Papiere an der deutsch-tschechischen Grenze sind für Sie kein Problem?

Pojar: Wenn es ordentlich umgesetzt wird, dann natürlich nicht. Wir verstehen, dass es eine Notwendigkeit gibt. Wie gesagt, wir weisen Migranten auch in die Slowakei und nach Österreich zurück. Für diejenigen außerhalb der EU muss klar werden, dass es nicht mehr so einfach ist, sich ohne Aufenthaltstitel in Europa zu bewegen, wie 2015 und in den Folgejahren. Diese Zeiten sind vorbei. Es ist nicht tragbar, dass jemand, dessen Identität wir nicht kennen, illegal nach Griechenland kommt und wenige Wochen später einfach so nach Berlin reist. Wenn wir uns selbst ernst nehmen, wird die illegale Migration zurückgehen. Der Zustrom über die Balkanroute ist bereits zurückgegangen, weil andere europäische Staaten angefangen haben, das Thema ernst zu nehmen.

WELT: Regime außerhalb der EU setzen „Migration als Waffe“ ein, wie Belarus gegen Polen. Wie bewerten Sie dies Phänomen aus einer sicherheitspolitischen Perspektive?

Pojar: Russland und Belarus setzen „Migration als Waffe“ gegen uns ein, andere Länder begreifen das als Unterstützung bei der illegalen Migration ihrer Staatsbürger zu uns. Wir müssen entschlossen zeigen, dass wir das nicht tolerieren. Wenn Herkunftsländer nicht bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger kooperieren, dann muss das Folgen haben. Wir können ihnen den Zugang zum europäischen Markt verwehren, Visaerleichterungen zurücknehmen, Entwicklungshilfe streichen und Zölle erhöhen. In der Vergangenheit haben wir versucht, bestimmte Länder zu „kaufen“, also ihnen Gelder anzubieten, damit sie ihre Staatsbürger zurücknehmen. Damit sollte Schluss sein. Es gab immer mehr „Zuckerbrot“, jetzt wird es mehr „Peitsche“ geben. Ich kann von meinen tschechischen Mitbürgern nicht erwarten, dass sie es akzeptieren, dass wir Ländern Entwicklungshilfegelder zahlen, die uns Europäer beim Thema illegaler Migration so behandeln.

WELT: „Migration als Waffe“ ist eine Form hybrider Kriegsführung, die sich gegen Europa richtet. Wie muss Europa darauf reagieren?

Pojar: Gerade im Cyberspace sehen wir Versuche von China oder auch dem Iran, gegen uns vorzugehen, vor allem Spionage. Russland aber bleibt die größte Bedrohung für uns. Gerade beim Thema Sabotage ist Russland eine Gefahr. Wir müssen enger kooperieren, um russische Sabotageakte in Europa zuverlässig zu verhindern. Auch sollten wir die Bewegungsfreiheit russischer Staatsbürger in Europa weiter einschränken, besonders die von Diplomaten und Personen unter diplomatischem Cover. Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung dazu eine andere Haltung einnehmen wird, als die alte.

WELT: Der renommierte Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel warnte mit eindringlichen Worten mehrfach davor, dass Russland eher früher als später eine Eskalation in Europa wagen könnte, etwa ein Austesten der Nato in Litauen. Halten Sie auch Sie das für möglich?

Pojar: Wir müssen Russland ernst nehmen, dürfen aber nicht in eine Angststarre geraten. Russland wollte Kiew in drei Tagen nehmen und führt jetzt schon seit mehr als drei Jahren unter enorm hohen Verlusten Krieg. Russland sollte auch unseren Willen und unsere Stärke wie unsere technologischen Möglichkeiten nicht unterschätzen. Damit meine ich einzelne europäische Staaten und natürlich die Nato.

WELT: Ihre Regierung hat für die Ukraine eine Munitionsinitiative angeschoben. Wie zuverlässig können die Europäer die Ukraine versorgen?

Pojar: Im vergangenen Jahr hat die Ukraine durch unsere Initiative 1,5 Millionen Schuss Artilleriemunition erhalten. Fünfzehn Länder haben sich an der Beschaffung beteiligt. Wir denken, dass das Gleiche auch in diesem Jahr möglich ist, alles läuft bislang nach Plan. Die Ukrainer sind umso mehr darauf angewiesen, da die US-Lieferungen zurück gegangene sind und wir für die Zukunft nicht mehr mit Lieferungen aus den USA rechnen können. Mindestens so wichtig wie Artilleriemunition sind mittlerweile jedoch Drohnen, unterschiedliche Drohnentypen, die in großen Mengen zum Einsatz kommen. Diese tschechische Regierung wird die Ukraine weiter energisch unterstützen, unabhängig davon, ob es bald zu einem Waffenstillstand kommt oder nicht.

Philipp Fritz ist seit 2018 freier Auslandskorrespondent für WELT und WELT AM SONNTAG. Er berichtet vor allem aus Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei sowie aus den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit rechtsstaatlichen und sicherheitspolitischen Fragen, aber auch mit dem schwierigen deutsch-polnischen Verhältnis.

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