Stephan Weil ist seit 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen. Der 66-Jährige drängt seine SPD seit Jahren zu einem wirtschaftsfreundlicherem Kurs und hat ihren Mitgliedern empfohlen, bei der laufenden Urabstimmung über den Koalitionsvertrag für ein Bündnis mit der Union zu stimmen. Weil will sein Amt als Landesregierungschef Mitte Mai niederlegen.
WELT: Herr Weil, Sie haben Ihren Parteifreunden zum Auftakt der Mitgliederabstimmung über den Koalitionsvertrag mit fast schon enthusiastischer Überzeugung empfohlen, für eine Koalition mit der Union zu stimmen. Warum?
Stephan Weil: Enthusiastisch bin ich höchstens nach einem überzeugenden Sieg von Hannover 96. Und das ist ein eher seltenes Ereignis. Richtig ist, dass ich meiner klaren persönlichen Überzeugung Ausdruck verliehen habe. Aus zweierlei Gründen.
Zum einen finde ich, dass sich der Koalitionsvertrag inhaltlich sehen lassen kann. Erst recht, wenn man bedenkt, dass die SPD bei der Bundestagswahl nicht 30, 40 oder 50 Prozent bekommen hat, sondern 16. Zum anderen kommt es jetzt darauf an, dass wir eine stabile demokratische Regierung bilden, die über den Zeitraum von vier Jahren konzentriert zusammenarbeitet und dabei Erfolg hat. Das ist das absolute Oberziel, das diese Koalition verfolgen muss.
WELT: Haben Sie keine Sorge, dass die SPD am Ende als Verlierer einer solchen Koalition dasteht? Die Erfahrung zeigt ja, dass die Erfolge eines solchen Bündnisses in der Regel mit dem jeweiligen Kanzler nach Hause gehen.
Weil: Es gab auch schon große Koalitionen, aus denen die SPD gestärkt herausgekommen ist. Aber da gibt es keinen Automatismus. Deshalb tun wir gut daran, wenn wir die Menschen in den kommenden vier Jahren mit unserer Arbeit davon überzeugen, dass sie uns vertrauen können. Da haben wir Sozialdemokraten eine Menge Boden gut zu machen. Nach meiner Erfahrung schafft man das eher mit überzeugender Regierungsarbeit als mit noch so lauter Oppositionspolitik.
WELT: Was unterscheidet die Lage heute von der im Jahr 2017? Damals wollte die SPD nach einer mit 20 Prozent vergleichsweise glimpflichen Wahlniederlage aus Angst vor einem weiteren Absturz in der Wählergunst partout kein Bündnis mit der Union eingehen.
Weil: Die SPD hatte damals einen besonders ausgeprägten, aus meiner Sicht auch verhängnisvollen Hang zur Nabelschau. Inzwischen sehen wir deutlich klarer, wo die eigentlichen Herausforderungen liegen. Wir haben erlebt, dass die AfD bei der Bundestagswahl im Februar deutlich besser abgeschnitten hat als die SPD. Das erschien 2017 noch unvorstellbar und verändert die Rangliste der wichtigsten Probleme deutlich. Bei mir steht jetzt jedenfalls eine Aufgabe ganz oben: die Demokratie stärker machen.
WELT: Ihr Bundesparteichef Lars Klingbeil wirbt unter anderem mit dem Argument für eine Koalition mit der Union, dass andernfalls die Gefahr riesengroß werde, dass CDU und CSU doch die Zusammenarbeit mit der AfD zu suchen. Sehen Sie diese Gefahr auch?
Weil: Ich sehe vor allem keine einzige Option, die besser wäre für unser Land als eine erfolgreiche Regierungsbildung auf Grundlage des vorliegenden Koalitionsvertrags zwischen SPD und Union. Schwarz-Rot ist – wenn man eine mögliche Kenia-Koalition von Union, SPD und Grünen mal außen vor lässt – die einzige realistische demokratische Mehrheit, die es im Bundestag gibt. Daraus folgt, nüchtern betrachtet, dass wir jetzt ein sehr stabiles Bündnis schließen müssen, um unsere Demokratie zu sichern. Anders geht es nicht.
WELT: Wie sollten SPD und Union künftig mit der AfD umgehen? Soll sich die Koalition intensiv auf ein AfD-Verbotsverfahren vorbereiten, wie es die Bundesvorsitzende Saskia Esken fordert? Oder sollte sie den Umgang mit der AfD normalisieren, wie es Jens Spahn und andere Unionspolitiker vorschlagen?
Weil: Das Bundestagswahl-Ergebnis ist eine Quittung, aus der man vor allem eines ablesen kann – wenn die AfD schwächer werden soll, müssen die anderen besser werden. Unbedingt notwendig ist also eine erfolgreiche Regierungsarbeit. Im Übrigen erinnere ich daran, dass es erhebliche verfassungsrechtliche Hürden zu überwinden gibt, ehe man zu einem Parteiverbot kommen kann. Es ist nicht damit getan, einen Verbotsantrag zu stellen. Deshalb sind sich die Länder auch einig, dass die Verfassungsschutzbehörden zunächst genügend Beweismaterial sammeln und dann verlässlich darlegen müssen, dass ein Verbotsverfahren rechtssicher begangen werden könnte.
WELT: Der entsprechende Bericht des Verfassungsschutzes dürfte in absehbarer Zeit vorliegen. Was dann?
Weil: Falls sich aus diesem Bericht eine Verbotsempfehlung ergibt, werden Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sehr ernsthaft prüfen müssen, ob sie tatsächlich davon überzeugt sind, in so einem Verfahren Erfolg zu haben. Eins muss man da immer mitbedenken: Wir haben nur einen Schuss. Ein gescheitertes Verbotsverfahren wäre ein Fest für die AfD.
WELT: Und bis zu dieser Entscheidung – sollte man die AfD stärker in den Parlamentsalltag einbinden?
Weil: Nein. Die demokratischen Parteien haben die parlamentarischen Einflussmöglichkeiten der AfD bisher aus guten Gründen auf das notwendige Maß begrenzt. Das ist keine Partei wie jede andere, sondern eine, die immer wieder Anlass bietet, an ihrer Verfassungstreue zu zweifeln. Da sollten die demokratischen Parteien konsequent bleiben.
Viel wichtiger finde ich aber, dass wir die Wählerinnen und Wähler immer wieder darauf hinweisen, wofür die AfD eigentlich steht. Ich erinnere mich zum Beispiel sehr gut daran, dass sie bis vor kürzester Zeit noch in der engsten Fankurve von Donald Trump und Elon Musk stand.
Ulrich Exner berichtet für WELT über bundes- und landespolitische Themen, unter anderem aus Niedersachsen.
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