Sie hat einen Koffer dabei, eine Yogamatte. Und eine Zimmerpflanze. Die konnte sie nicht stehen lassen im Hotel. Sie war jetzt lange in Berlin für einen Film, bei dem eigentlich alle dabei waren. Fabian Hinrichs, Nina Kunzendorf und Matthias Matschke. Und da brauchte es Julia Koschitz ein bisschen gemütlich. Jetzt ist sie sozusagen auf der Durchreise nach Hause. Gleich geht’s mit dem Zug zurück Richtung München.
Und möglicherweise spiegelt die Zimmerpflanze ein wenig, wie es ihr gerade geht. Sie hatte Nachtdreh. Die letzte Klappe fiel für ihren neuen Film. Eine Geschichte, grundsätzlich eigentlich gar nicht so weit weg von „Ewig Dein“, dem mörderischen Liebesfilm, für den wir uns treffen im Restaurant des Hamburger Bahnhofs.
Eine Gruppe Menschen von durchaus gehobenem wirtschaftlichem Status, unter denen sich das Böse breitmacht. Spielt allerdings, das unterscheidet sie von „Ewig Dein“ dann doch, an einem Abend, in einem mehr oder weniger geschlossenen Raum. Die Geschichte von „Ewig Dein“ zieht sich über Monate, spielt sich in Wien, in Venedig und irgendwo auf dem Land im Burgenland ab. Das Böse aber macht sich auch da breit.
Julia Koschitz ist Judith in „Ewig Dein“. Gewissermaßen eine geradezu archetypische Julia-Koschitz-Figur. Judith ist, sagt Julia Koschitz, „eine selbstbewusste, unabhängige Frau, die gar nicht auf der Suche ist nach einem Mann, der ihr Leben komplett macht.“
Judith hat einen Luster-Laden in Wien. Einen Familienbetrieb, in dem man gewaltige Kristallglas-Lampen mit ganz viel Glasblingbling ordern kann. Besonders schön ist ein Luster aus dem späten 18. Jahrhundert, der war mal im Besitz der Maria Christina von Österreich. Und immer – so geht die Legende –, wenn einer stirbt, gibt der Luster ein Glasblättchen frei.
Das kann nicht gut gehen
Aber jetzt sind wir schon mitten im Film von Johanna Moder nach einem Bestseller von Daniel Glattauer, der von vorneherein mehr oder weniger sanfte Warnschilder an die Gänge seiner Geschichte hängt, die jeden, der einigermaßen sehen kann, darauf vorbereiten, dass die Geschichte von Judith und Hannes nicht gut enden kann.
Die geht ungefähr so: Hannes, der ein bisschen aussieht wie ein ewiger Mathematikreferendar, rauscht mit einem Einkaufswagen in Judiths Leben. Er steht eines Tages in ihrem Laden, er schickt rote Rosen, er sagt, dass sie schöne Zähne habe, bei ihrem ersten Date. Eine fast widerspenstige Liebesgeschichte entspinnt sich. Dann kippt alles in den Wahnsinn. Und lange weiß man nicht, wer von den beiden, die jeder für sich auf einem Traumateppich durchs Leben gehen, der Wahnsinnigere ist.
Julia Koschitz sieht in „Ewig Dein“ aus wie Julia Koschitz eigentlich immer aussieht. Wie sie auch heute Morgen aussieht. Kurzhaarfrisur, ebenmäßiges Gesicht, eine rechte Augenbraue, die gewaltig gefährlich werden kann. Und dann macht sie, was sie in Filmen eigentlich immer macht.
Legt unter der Oberfläche dieses ebenmäßigen Gesichts allmählich alle Facetten der Figur frei, verwandelt Seelenbewegungen in Körperbewegungen. Sie ist die deutsche Meisterin der minimalen mimischen Möglichkeiten. Eine Gesichtstänzerin hat man sie genannt – was naheliegt. Sie, in Brüssel geboren, in Frankfurt aufgewachsen, wäre beinahe statt zum Theater zum Ballett gegangen.
Die Herausforderung an Judith, sagt sie, war die Schwebe, in der sie diese komplexe Frau und mit ihr das immer schräger werdende Verhältnis Hannes halten musste. Von dem meint Judiths komplette Umgebung rasend schnell, er sei ihr geradezu idealer Partner.
Hannes manipuliert Judiths Lebenskreis mit einer unheimlichen Meisterschaft so lange, bis ihr am Ende niemand glaubt, was tatsächlich geschehen ist. Etwas, von dem sie sich – ein typisches Verhalten von Opfern eines sexuellen Übergriffs, sagt Julia Koschitz – nichts zu erzählen traut. Aus Scham und Schuldgefühlen.
Sie selbst sagt von sich, dass sie mit sich einen starken inneren Dialog führt und glaubt, dass sie ein reflektierter Mensch ist. „Jedes Gefühl wird auch gleichzeitig in Frage gestellt.“ Ein Selbstporträt – jedenfalls bis zu dem beinahe tödlich endenden Unfall mit Hannes – das auch Judith von sich zeichnen würde. Andererseits kann Julia Koschitz verstehen, dass jemand, „der inmitten von lauter Paaren als Single lebt, auch einen gewissen Druck verspürt und ins Zweifeln kommt, ob man vielleicht doch nicht ganz das richtige Leben führt.“
Judith, so Julia Koschitz, ist geschmeichelt vom Avancensturm, den Hannes in ihr Leben bläst. Will ein bisschen große Liebe leben. Allerdings ohne das Reservat ihres alten Ichs zu verlassen. Judith – deren innere Vorsicht Koschitz mit einer equilibristischen Perfektion sichtbar macht – ist die reservierteste große Liebende, die sich denken lässt.
Dramaturgisch, sagt sie, habe sie sich der Judith genähert. Gemacht, was sie gerade dann macht, wenn ihr selbst, was ihrer Figur widerfährt, nie passiert ist – im Fall von Judith am Ende Stalking, Gaslighting und allmähliches Vergiftetwerden durch Männlichkeit. Und getan, was sie eigentlich immer tut, Johanna Moder aber ein wenig überrascht hat.
Fragen stellen. Ganz viele Fragen stellen. An das Buch, an die Geschichte, die Figur und die Regisseurin. Das kann beunruhigend sein, sagt sie. Befähigt sie aber dazu, in jeder Sekunde des Spiels genau zu wissen, was Judith im jeweiligen Moment denkt und tut.
Drehbücher in ganz kleine Teile
Beunruhigend könnte auch sein, was am Ende in ihrem Drehbuch steht. Da schreibt sie immer alles rein. Das ist sehr persönlich, was da steht. Ihre Drehbücher sind ihre Tagebücher. „Es wäre ganz schrecklich, wenn ich die irgendwo liegen ließe.“ Nach dem Dreh werden die Bücher zerrissen. In „ganz, ganz viele kleine Teile“. Das muss man sich als Akt des Abschieds und manchmal auch der Befreiung vorstellen.
Die Menschwerdung der Notizen funktioniert wie eine Übersetzung ins Körperliche. „Jede Figur“, sagt Julia Koschitz, „hat ein physisches Alphabet, das sich im Entstehungsprozess entwickelt. Gesten, Bewegungs- und Sprachmuster, Manierismen.“ Dieses Alphabet, erzählt sie, hilft ihr, Seelensituationen zu differenzieren. Judith zum Beispiel „durchlebt unterschiedlichste Extremzustände, begleitet von Alkohol und Psychopharmaka, die aus realer Angst resultieren und sich bis zu Wahnvorstellungen hochschaukeln. Diese unterschiedlichen Aggregatzustände der Angst wollte ich vor allem körperlich transportieren.“
Und den Zuschauer gefangen halten. Der will ihr immer wieder Zettel zustecken, Posts aufs Handy schicken. Dass man nicht in das Auto eines Mannes einsteigt, der einen Wunderbaum an den Rückspiegel hängt, zum Beispiel.
Aber nach dem Wunderbaum geht es ja weiter. Und Judith wird wehrhaft. Judith sagt nein. In Venedig, wo sie merkt, dass Hannes sie zu seiner Fantasiefigur und Anziehpuppe macht. Wo die Gondel, in die Hannes sie für seinen Antrag mehr oder weniger zwingt, zwar nicht Trauer trägt, aber immerhin aussieht wie ein schwimmender Sarg.
Sie hätten viel diskutiert über toxisches Verhalten in Beziehungen. Und Manuel Rubey – der ist Hannes mit einer markerschütternden Intensität, in brüchigen Männern ist Rubey was Koschitz in komplexen Frauen – verfocht interessanterweise am lautesten die feministische Position. Sie selbst, sagt Julia Koschitz, hätte während der Vorbereitungen für Judith das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen in den Kriminalstatistiken, die Zahl der Femizide überrascht.
Was „Ewig Dein“ vorantreibt und weswegen der Film – aber dann hätte er schon mit dem Titel zu viel verraten – eigentlich auch „Ewig mein“ hätte heißen können, ist aber etwas anderes. Das Streben jemanden in einer Beziehung besitzen zu wollen.
Das ist allerdings kein rein männliches, das ist, sagt Julia Koschitz, ein leider allgemein menschliches Bedürfnis nach großer Nähe mit dem Gegenüber, das Liebe im schlimmsten Fall in Zwang verwandelt, oder in Gewalt umschlagen lässt. „Ewig Dein“ – das wie eine Romcom anfängt und als Horrorfilm endet – führt genau das mit furchtbarer Konsequenz bemerkenswert scharf vor.
Zwischen Liebenden der Generation, die Hannes’ und Judiths Kinder sein könnten, wird so eine Geschichte vielleicht nicht mehr funktionieren. Man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben. Die sichern sich, glaubt Julia Koschitz, mehr ab, „machen von Anfang an klar, wie sie sich ein Miteinander vorstellen, erstellen so eine Art Hausordnung der Beziehung“.
Mehrwert in der Zweisamkeit?
Dass man gerade am Beginn von Beziehungen heute viel mehr redet und mehr festlegt – gerade als Frau – findet sie gut. Andererseits hält sie es für eine Illusion, eine Liebe endgültig in ein Verhaltenskorsett zwängen zu können. „Beziehungen sind immer in Bewegung. Man kann hundert Regeln aufstellen, wach bleiben muss man trotzdem. Sich fragen, ob es immer noch einen Mehrwert in der Zweisamkeit gibt oder man sich zur Unkenntlichkeit verbogen hat.“
Man kann, sagt sie, und hätte sich Judith daran gehalten, wäre „Ewig Dein“ ungefähr nach vierzig Minuten vorbei gewesen, „für sich selber immer wieder neu entscheiden. Wer will ich sein? Will ich leben?“ Und nur, sagt sie, nimmt Koffer und Yogamatte und Zimmerpflanze, „weil ich irgendwann beschlossen habe, Schauspielerin zu sein und in München zu leben, heißt das ja noch nicht, dass es in Stein gemeißelt ewig so sein muss.“
„Ewig Dein“: 14. April, 20.15 Uhr ZDF und in der Mediathek
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