Die Viagra Boys melden sich mit ihrem vierten Album zurück. Frontmann Sebastian Murphy spricht bei ntv.de über seine Inspirationen für die Songs auf "viagr aboys", warum es für ihn ohne Humor in diesen Zeiten nicht geht und gibt Tipps für Unversehrtheit bei den Konzerten seiner Band.

Die aus Stockholm stammenden Viagra Boys haben sich in den zehn Jahren ihres Schaffens dank ihres besonderen Mix aus Post-Punk, satirischen Lyrics und Live-Energie einen festen Platz in der internationalen Musikszene und den Herzen ihrer Fans verdient. Während ihre Texte schon zu Beginn vor allem semi-autobiografische Züge trugen, kommentierte das 2022 erschienene "Cave World" die derzeit aktuelle Weltlage - von Verschwörungsmythen bis E-Scooter-Plage. Nun richtet Songwriter und Frontmann Sebastian Murphy für "viagr aboys" den Blick aber wieder mehr ins Innere. Mit ntv.de spricht der 35-Jährige über den kreativen Prozess, seine Inspirationsquellen und warum Humor für ihn überlebenswichtig ist.

ntv.de: Sebastian, euer neues Album ist wieder deutlich introspektiver als das letzte. Obwohl oder weil sich die Lage seit 2022 noch einmal deutlich zugespitzt hat?

Sebastian Murphy: Ich glaube, ich bevorzuge es einfach, auf eine introspektivere Art zu schreiben. Es war anstrengend, aktuelle Ereignisse zu kommentieren. Als ich das letzte Album gemacht habe, habe ich entschieden, dass ich beim nächsten einen anderen Ansatz verfolgen möchte. Vielleicht wäre es anders geworden, wenn ich es heute schreiben würde, denn ich habe nicht erwartet, dass alles so verrückt wird, wie es passiert ist.

Wirklich? Du bist überrascht?

Ja, ich glaube, wir stehen alle unter Schock. Aber ich denke, es ist nicht wichtig. Man kann politisch sein, ohne direkt zu kommentieren. Es kann langweilig wirken, nur über ein Thema zu sprechen, und manchmal kommt es auch falsch rüber. Ich wollte wieder mehr in dem Stil schreiben, den ich früher hatte - Geschichten erfinden und meine inneren Gedanken erforschen.

Deine Texte handeln unter anderem von Sumpfleichen und einem Mann aus Fleisch. Wo holst du das her?

Wahrscheinlich die Medien, die ich konsumiere. Ich lese viel auf meinem Handy, schaue Dokumentationen und mache mir ständig Notizen. Manchmal werde ich von einer Idee besessen und muss einfach darüber schreiben. Es ist nicht so, dass ich gezielt nach Themen suche - oft ergibt sich alles ganz organisch.

Du hast das Album als "simpler und dümmer" beschrieben. Was meinst du damit?

Ich meinte das im positiven Sinne. Die Songs sind einfacher geschrieben, die Akkordfolgen primitiver. Es erinnert mich daran, wie Leute Nirvana als "einfache Musik" bezeichneten. Ich mag diese Art von Musik, und einige Songs auf dem Album haben dieses entspannte, fast dumme Gefühl, das ich liebe. Es fühlt sich frei an. Vielleicht war "dumm" das falsche Wort, aber es beschreibt dieses rohe, ungeschliffene Gefühl, das ich anstrebe.

Sind auf dem neuen Album Songs, die ihr für das letzte verworfen habt?

Nein, alles ist neu. Vielleicht stammen ein paar Riffs aus älteren Ideen, aber die Texte und das Songwriting sind komplett neu. Wir haben allerdings viele alte Songs in einer Datei, die vielleicht irgendwann veröffentlicht werden. Unser Bassist liebt es, komplett neue Sachen zu machen, deshalb bleibt vieles liegen. Aber wer weiß, vielleicht taucht eines Tages etwas davon wieder auf.

Wie oft interpretieren Leute Dinge in deine Texte hinein, die du gar nicht beabsichtigt hast?

Das passiert oft, aber ich mag das. Kunst sollte offen für Interpretationen sein. Manchmal lesen Leute etwas in meine Texte, das ich selbst noch nicht gesehen habe, und ich denke: "Ja, sie haben recht." Ich arbeite viel mit meinem Unterbewusstsein, und manchmal ergibt sich eine tiefere Bedeutung erst später. Es ist spannend, wenn Menschen etwas finden, das sie anspricht - selbst, wenn sie die Texte falsch verstehen. Das hatte ich auch, als ich jünger war und Rockmusik hörte. Manchmal habe ich die falschen Lyrics gesungen, aber sie haben trotzdem etwas in mir ausgelöst.

Wie "Every Breath You Take" von The Police, ein Lied über einen Stalker, das auf vielen Hochzeiten läuft. Du bist seit einer Weile verlobt, wird das auch auf eurer Hochzeits-Playlist auftauchen?

Sicher nicht. (lacht) Wusstest du, dass eine der Frauen von ABBA ihren Stalker geheiratet hat? Das ist verrückt.

Sie waren lediglich in einer Beziehung, nachdem er ein "zufälliges" Treffen mit ihr arrangiert hatte. Und sie hat sich getrennt, als sie herausfand, wer er ist. Es gibt sogar eine Netflix-Doku über den Typen. Absurd.

Ja, tatsächlich. Das ist, als würde man Josef Fritzl eine Bühne bieten.

Du bist mit 17 Jahren schon von Kalifornien nach Stockholm gezogen. Wie glücklich bist du heute darüber - gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen in den USA?

Sehr glücklich. Ich identifiziere mich mehr als Europäer denn als US-Amerikaner. Ich liebe es, Amerika zu besuchen, aber ich finde es wichtiger denn je, dort zu spielen - es fühlt sich an, als würde man für den Widerstand auftreten. Manche denken vielleicht, man sollte die USA boykottieren, aber ich glaube, es ist wichtiger, dort präsent zu sein. Es gibt so viele Menschen, die Unterstützung brauchen.

Wie findest du immer wieder die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor?

Humor ist für mich überlebenswichtig. Schon Charlie Chaplin hat sich über Hitler lustig gemacht. Dinge sind gerade nicht besonders lustig, aber Humor und Eskapismus helfen mir, durchzuhalten. Ich verbringe viel Zeit mit Freunden, gehe angeln oder mache lange Spaziergänge. Humor ist der einzige Weg, wie ich mit der Welt klarkomme.

Arbeitest du eigentlich noch als Tätowierer? Dein Instagram-Profil als solches wirkt recht aktuell.

Nein, ich habe seit drei Jahren nicht mehr tätowiert. Vielleicht fange ich bald wieder an. Es wäre schön, das wieder aufzunehmen, aber im Moment konzentriere ich mich auf die Musik.

Du hast in einem Interview zum letzten Album gesagt, du seist deiner selbst überdrüssig. Ist das als Frontmann einer Band nicht ein Problem?

Ich bin noch nicht müde von mir selbst, aber nach der Tour könnte das anders sein. Auf der Bühne zu stehen, ist ein seltsames Gefühl. Manchmal frage ich mich, warum die Leute mir zuhören wollen. Aber es ist auch ein großartiges Gefühl, wenn sich Menschen in mir wiedererkennen. Früher war ich auf der Bühne aggressiver, jetzt lächle ich mehr und genieße es einfach.

Was das Publikum von dir erwartet, ist klar. Aber was erwartest du im Gegenzug von den Fans? Was macht ein Konzert für dich perfekt?

Ich liebe es, wenn die Leute Spaß haben und wild sind - auch wenn ich vielleicht nicht sagen sollte, dass ich es mag, wenn jemand von einem Balkon springt. Unsere Konzerte fühlen sich wie eine Party an, und ich habe am meisten Spaß, wenn alle anderen Spaß haben. Es ist toll, eine diverse Menge zu sehen, die einfach sie selbst ist. Früher war ich auf der Bühne aggressiver, jetzt lächle ich mehr und genieße es einfach. Es ist schön zu sehen, wie sich die Energie zwischen Publikum und Band aufschaukelt. Das macht ein Konzert für mich perfekt.

Klingt gut. Wir sehen uns in Berlin. Die Columbiahalle dort hat übrigens einen Balkon ...

Ich freue mich darauf. Aber bitte: Springt nicht vom Balkon!

Mit Sebastian Murphy sprach Nicole Ankelmann

Das Album "viagr aboys" ist ab dem 25. April überall erhältlich.

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