Für die einen mag es unbegrenzt Schokolade sein, für andere Ferien für immer und die nächsten eine sehr, wirklich sehr, sehr große Flasche Champagner. Konsum, der so unbegrenzt erscheint, dass man sicher ist, damit jede persönliche Gier stillen zu können. Disney macht mir ein wunderbares Geschenk und stellte die gesamte zweite Staffel der Ausnahmeserie „Andor“ zur Vorabbesichtigung zur Verfügung.
Das sind fast zehn Stunden satter „Star Wars“-Content, wie man heute sagt, gut halb so viel wie die komplette „Skywalker-Saga“ mit ihren neun Kinofilmen. So viel Neues war noch nie auf einen Schlag. „Los geht's“ textete ich meinem langjährigsten Star-Wars-Freund, um ihn rasend vor Neid zu machen und drückte auf „Play“.
Als „Andor“ vor drei Jahren erschien, war die Serie für, die „Star Wars“ seit Jahrzehnten als Fantasymärchen missverstanden hatten, ein Schock. Sie zeichnete die Welt komplett neu: Keine Jedis, keine Laserschwerter, keine Macht, keine maskierten Schurken. Ein entzaubertes Universum. Düster und kalt, bevölkert von emotional zerstörten Helden, skrupellosen Karrieristen, deren Scheitern programmiert war, und unerträglichem Alltag im Übergang einer ausgetricksten Demokratie zu einer technokratischen Diktatur, dem Imperium.
„Andor“ war dennoch ein spektakulärer Erfolg. Von Tony Gilroy mit höchster Akribie erdacht und geschrieben, erweiterte die Serie das Franchise (nach der großen Skywalker-Saga, den animierten Vertiefungsorgien „Clone Wars“ und „Rebels“, dem Erfolgs-TV-Abenteuer „The Mandalorian“ etc.) um das Genre ‚Echt Harte Kost‘. „The Wire“ in einer weit, weit entfernten Galaxie. Der Monolog von Luthen Rael (Stellan Skarsgård) gilt als bester Text des gesamten Franchises.
Zwölf Folgen am Stück?
Also: Man kann einen guten Bordeaux runterstürzen wie ein Six Pack Coors Light. Ob das vernünftig ist, entscheidet sich erst am nächsten Morgen. Zwölf Folgen am Stück ist viel. Zuviel? Man wird sehen.
Disneys Veröffentlichungspolitik der Serie klotzt auch eher, als dass sie kleckert. Jeweils drei Folgen werden parallel veröffentlicht. Jede Trilogie hat einen eigenen Handlungsbogen, die erste spielt vier, die zweite drei Jahre vor der „Schlacht von Javin“ und so fort. Denn dieses Gefecht mündet in der Zerstörung des Todessterns (im Film „Eine neue Hoffnung“), dessen geheimdienstliche Vorbereitung in „Rogue One“ erfolgte.
Komplex? Ja, sicher. So ist „Star Wars“. Und so sind die Figurenkonstellationen in „Andor 2“. Diego Lunas Titelheld erledigt mit atlashafter Anstrengung Jobs für eine Rebellengruppe, weil er nicht mehr anders kann: Sein leerer Blick verrät mehr über seinen Zustand als seine Taten. Alle Charaktere kämpfen den ewigen Konflikt zwischen individueller Freiheit und unvermeidlicher Verantwortung für das große Ganze aus.
Alles in dieser gekippten Welt ist Furcht, Kadavergehorsam, Misstrauen, Verrat – egal, auf welcher Seite die Figuren stehen. Die Personenschilderung ist dabei atemberaubend, bei den Hauptcharakteren nicht weniger als bei Nebenfiguren wie dem jungen Rebellen Wilmon (Muhannad Ben Amor).
Wie weit sind Imperium und Rebellion voneinander entfernt? Gar nicht so weit, ja erschreckend wenig weit. Das wird nicht nur durch die herausragenden Dialoge illustriert, sondern auch durch Ausstattung und Architektur. Die kalte urbane Welt des Imperiums mit ihrem spektakulär brutalistischen Design hat ihr Gegenstück in den bäuerlichen Gemeinden der Provinzen.
Doch das erste Hauptquartier der Allianz der Rebellen auf Yavin 4 erinnert, obwohl in einen Dschungel gewuchtet, in seiner Kantigkeit mehr an die Gebäude des Regimes als an die brüchige Arbeiter- und Bauernidyllen der Fluchtpunkte. Und, wie wir wissen, hat die Neue Republik, die das Imperium ablöst, genauso ideologische Züge und brutale Methoden wie das System, das es gerade überwunden hat. Wokismus überwindet das Reaktionäre und wird reaktionär.
In dieser Serie ist alles perfekt.
Weil die Welt, die sie zeigt, eben so weit davon entfernt ist wie „Star Wars“ vom Professorenscherz „Der Herr der Ringe“. „Star Wars“ ist der Horror einer erschlafften Demokratie und der Lauchhaftigkeit derer, die dies zulassen. Selten wurde das so gut vom Missverständnis der Figuren erzählt. „Andor 2“ ist absolut auf Augenhöhe mit den klügsten und besten Beispielen seriellen Erzählens – „The Wire“, „Sopranos“, „Carnivale“. Und besser als „Breaking Bad“.
Die Personen und Institutionen in der Serie wollen alle nichts anderes, als ihre Ziele zu erreichen. Auf beiden Seiten sind die Mittel skrupellos. Die Strippenzieher halten ihre Fäden in der Hand – und stellen am Ende fest, doch auch nur Marionetten der nächsthöheren Ebene zu sein. Alle lügen alle an. Immer. Die Rebellion ist ein gäriger Haufen, edle Motive, ja, aber mit allen Mitteln. Dafür steht Forest Whitaker als Rebellen-Terrorist Saw Gerrera.
Er ist der härteste Gegner, aber unfreiwillig eben auch der wirksamste Verbündete des Imperiums. Die Unterdrücker wissen, wie gut Narrative funktionieren, wie Propaganda wirkt, wie Lüge zu Wirklichkeit wird, ohne je Wahrheit zu sein, und dass die Freiheit leichter aufgegeben wird, wenn man an ihrer Statt Sicherheit verspricht. So werden die Rebellen zu Terroristen und die Autokraten zur Schutzmacht der Bevölkerung.
„Star Wars“ war schon immer politisch. Die originale Trilogie wurde als kindliches Abenteuerstück beworben, enthält aber auch Kommentare zum Vietnam-Krieg. Die Prequels beginnen mit dem Vorspann: „Die Galaktische Republik wird von Unruhen erschüttert. Die Besteuerung der Handelsrouten zu einem weit entfernten Sternensystem ist der Auslöser“. Wer denkt da nicht an Donald Trump? Der Film ist allerdings von 1999.
Natürlich ist „Andor 2“ kein Kommentar auf die ersten Monate der Trump-Regierung. Die Serie wurde geschrieben und gedreht, als noch nicht denkbar war, dass ein strategisches Posting 2,5 Milliarden Börsen-Dollar vernichten oder generieren kann. Genauso wenig die Skrupellosigkeit, mit der Falschbehauptungen – um es ganz vorsichtig auszudrücken – als erstes Mittel der Politik benutzt oder Narrative zu Waffen werden. Dass die Wirklichkeit so schnell die dystopische Vision der Verwandlung einer Demokratie in eine Autokratie einholt, ist aber noch viel, viel erschreckender.
„Die Fähigkeit, das Wort Nein auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit“, sagte der französische Schriftsteller Nicolas Chamfort. Und genau dieses Wort spricht in „Andor 2“ lange niemand aus. Ob Freiheitsfeinde oder Freiheitskämpfer: Alle folgen stets dem Weg, den sie als ihr Schicksal begreifen. Auch das ist eine Art des geringsten Widerstandes, so schmerzlich er auch sein mag (und in einigen Fällen fatal).
Mit dokumentarischer Genauigkeit wird das an der Figur des Syril Karn (Kyle Sollar) erzählt, jenes leptosomen Streberlings im imperialen Verwaltungsgetriebe, der selbst, als er erkennt, dass er betrogen und benutzt wurde, es nicht über sich bringt, wenn schon nicht das Richtige, doch wenigstens das am wenigsten Falsche zu tun.
Nur Mon Mothma (fantastisch: Genevieve O´Reilly), die geheime Anführerin einer parlamentarischen Opposition und Unterstützerin der Rebellengruppen, begehrt auf. In rauschhaften Bildern und überbordender Ausstattung, die an das Rivendell in Jacksons „Herr der Ringe“- Abfilmung erinnert, erzählt Gilroy von den hedonistischen Bewohnern Chandrillas , deren politische Vertreterin Mothma ist.
Doch die Dekadenz, mit der die oberen Zehntausend sich die Diktatur schöntrinken und -feiern, widert Mothma, die schon Vermögen und ihre Tochter für die gute Sache geopfert hat, bis zur Unerträglichkeit an. Ihre große Rede vor dem Senat, in dem sie den Senator als Monster bezeichnet, ist der Freiheitsmoment der Staffel. Aber auch sie bezahlt – verliert ihr Amt, muss flüchten, ins Exil gehen.
Der Hunger wächst
Die Erwähnung dieser Rede ist kein Spoiler. Sie und das zugrunde liegende „Ghorman-Massaker“ sind schon in der Anime-Serie „Rebels“ gezeigt, beziehungsweise erwähnt worden. Wie die Disney-„Star Wars“-Masterminds Jon Favreau und Dave Filoni in ihren Serien, nimmt Gilroy offene Fäden auf, konstruiert in zwingender Logik Zusammenhänge. Aber anders als seine bubenhaften Kollegen verzichtet er auf Cameos und Fan-Service. „Andor“ bleibt bei seinen Figuren. Das gibt Raum, deren Entwicklung penibel und dadurch absolut glaubhaft zu zeichnen.
Gilroy stand im Gegenteil vor einem besonderen Problem: Da „Andor“ die Vorgeschichte zu „Rogue One“ ist, musste er sich von Protagonisten trennen, die im Kinofilm von 2016 nicht mehr auftauchten. Dies gelingt auf vielerlei Art, jede für sich ist ein Schock. Aber selbst der einzigen Figur, die sich in ein besseres Leben verabschiedet hat, gönnt Gilroy kein vollständiges Glück.
Und natürlich ist die Gier auch nach diesen zehn Stunden nicht gestillt, also sehe ich mir gleich im Anschluss noch einmal „Rogue One“ an, es geht nicht anders. Ganz am Ende taucht Darth Vader mit einem spektakulären Auftritt auf, und der Übergang zu „Eine neue Hoffnung“ ist perfekt vollzogen, „Andor“ und die Skywalker-Saga sind verknüpft. Das Lucas-Universum füllt sich weiter und weiter. Man sieht es, überwältigt, mit Entzücken und Tränen in den Augen. Besser kann es nicht sein. Und der Hunger wächst.
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