Wer versucht, die Unterschiede zwischen den Begriffen «Kopfstimme», «Falsett» und «Countertenor» zu ergründen, ist nach Konsultation von Fachliteratur noch ratloser als vorher. «Gesangspädagogik ist über mehrere Jahrhunderte gewachsen und verschiedene Pädagogen haben die Begriffe unterschiedlich verwendet», erklärt der Sänger, Gesangslehrer und Logopäde Oliver Frischknecht.

Für diesen Text gilt: Falsett und Kopfstimme sind das gleiche, ein Countertenor singt im Falsett, aber mit mehr Wumms.

Lange Tradition

Singen in hohen Tonlagen hat eine lange Tradition. Bereits in der Barockmusik des 17. und 18. Jahrhunderts traten Countertenöre auf. Diese männlichen Sänger können dank spezieller Technik in Sopranlage singen.

Für engelsgleichen, glockenreinen Klang sorgten auch Kastratensänger, also männliche Sänger, die vor der Pubertät kastriert wurden. Damit wurde der Stimmbruch verhindert. Die brutale Praxis wurde erst im 19. Jahrhundert verboten.

Markenzeichen

Seit es Popmusik gibt, wird darin auch gerne mit der Kopfstimme geflirtet. In den 1960er-Jahre bescherte zum Bespiel Frankie Valli mit seiner kraftvollen Falsettstimme der Band The Four Seasons ein Markenzeichen.

Der Discosound der Bee Gees wäre nicht der gleiche, ohne Barry Gibbs unverwechselbares Falsetto. Und Bronski Beat hätten ohne Jimmy Somervilles Gesang in Kopfstimme wohl kaum die gleiche Dringlichkeit.

«falsch und weiblich»

Auch Musikerinnen wie Kate Bush, La Roux, Ariane Grande und Mariah Carey setzen gerne die Kopfstimme ein. Weil weibliche Stimmen grundsätzlich höher sind als männliche, fällt das allerdings weniger auf. Wenn Männer hohe Töne anschlagen, sorgt das für Aufmerksamkeit, zumal hoher Gesang als stereotyp weiblich gilt.

Das lässt sich auch aus dem Ursprung des Wortes «Falsett» ablesen. Der Begriff geht zurück auf das lateinische «Falsus» («falsch»). Wenn ein Mann hoch sang, dann wurde dies mit dem Ausdruck «Falsett» quasi als falsche Stimmlage deklariert.

Gender-Stereotypen

Für ihre Analyse zu Kopfstimmen im Pop hat Musikwissenschaftlerin Katharina Rost beleuchtet, wie Falsettgesang medial beschrieben wird. Dabei zeigt sich, dass die Gender-Stereotypen tief sitzen. Hoher Gesang wird mit Verletzlichkeit und Empfindsamkeit in Verbindung gebracht. Das aber passt nicht zur stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit.

Wenn Männer in Kopfstimme singen, dann entstehe ein Spannungs- oder sogar Gegensatzverhältnis, schreibt Rost. Das zeigt sich auch in der Diskussion um den Bond-Song der non-binären Person Sam Smith. So hat beispielsweise The Atlantic den Song als Angriff auf die prototypische Maskulinität der Bond-Figur beschrieben.

Kopfstimme im Aufwind

Sam Smith hat «Writing's On The Wall» vor 10 Jahren veröffentlicht. Seitdem hat sich einiges getan in Sachen Gender-Stereotypen. Das könnte mitunter ein Grund sein, weswegen die Kopfstimme im Pop gerade wieder sehr angesagt ist. Harry Styles, Frank Ocean, Chris Martin, The Weeknd, Dachs, James Gruntz und Nemo, sie alle scheuen sich nicht davor, hohe Töne anzustimmen.

Österreich schickt gar einen Countertenor ins ESC-Rennen. Derweilen freut sich Gesangslehrer Oliver Frischknecht über neue Kundschaft: «Bei mir klopfen aktuell sehr viele Musikschaffende an, die an ihrer Kopfstimme arbeiten möchten.»

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