Eine klare Strategie ist hinter der Zoll-Wut des US-Präsidenten nicht zu erkennen. Es gebe zwar eine sehr wohlwollende Interpretation des Ganzen, sagt Ökonom Rüdiger Bachmann ntv.de. Aber mit Trumps Zoll-Politik seien diese Ziele nicht zu erreichen.

ntv.de: Trumps Zollkurs scheint völlig wirr zu sein - oder steckt dahinter doch eine Strategie?

Rüdiger Bachmann: Unabhängig von Inhalt und Zweck dieser Politik: Man schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Trump und sein Umfeld sorgen mit diesem Zickzack-Kurs für erhebliche Unsicherheit. Das ist schlecht aus ökonomischer Sicht. Denn in einem unsicheren Umfeld werden langfristige Investitionsentscheidungen aufgeschoben - beispielsweise der Kauf eines Hauses oder der Bau einer Fabrik. Privatleute und Unternehmen warten ab, bis es klar ist, was Trump eigentlich genau vorhat. Wobei sich bei ihm schon die Frage stellt, ob das jemals klar sein wird. Hinzu kommt, dass Ausnahmen offensichtlich möglich sind, wenn man laut genug protestiert und lobbyiert. Das führt zu Ineffizienzen und sogar Günstlingswirtschaft.

Trump und sein Umfeld argumentieren, dass sie mit Zöllen die US-Wirtschaft schützen und stärken. Ist da etwas dran?

Es gibt zumindest eine sehr wohlwollende Interpretation des Ganzen. Die läuft in etwa so: Die USA haben verlernt, Dinge physisch herzustellen - und haben sich damit verwundbar gemacht. In der Tat ist es so, dass der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am US-Bruttoinlandsprodukt stärker gesunken ist als beispielsweise in Deutschland. Und es ist nicht gut, wenn man etwa bei der Waffenproduktion bei den nötigen Vorprodukten in Abhängigkeit von seinem größten strategischen Rivalen, also China, gerät. Und nun gehe es darum, sich von dieser Abhängigkeit zu lösen.

Sie haben den Rückgang der Industrie angesprochen. Das ist besonders im Rust Belt im Mittleren Westen zu sehen. Trump verspricht, mit den Zöllen die verlorenen Jobs zurückzuholen…

Damit spricht er einen Kern seiner Wählerschaft an - Männer in ehemaligen Industrie-Hochburgen, die einen sozialen Abstieg erlitten haben durch den Exodus des verarbeitenden Gewerbes. Das Problem: Mit Trumps Zoll-Politik sind diese Ziele nicht zu erreichen.

Wieso nicht?

Wenn es wirklich darum ginge, die Industriearbeit in den USA wieder aufzubauen, dann wären die jüngsten Ausnahmen von den Zöllen ein Fehler. Denn nun sind Endprodukte wie iPhones von den Zöllen ausgenommen. Doch nach der wohlwollenden Logik sollen ja gerade solche Produkte in den USA hergestellt werden. Auf Vor- und Zwischenprodukte sollen die Zölle aber wohl verbleiben. Außerdem ergibt es keinen Sinn, die ganze Welt mit Zöllen zu überziehen - darunter auch Verbündete wie Kanada, die EU und Japan. Wenn Trump einen Handelskrieg mit China gewinnen will, braucht er Alliierte. Wollen Sie noch einen dritten Punkt hören?

Gerne.

Die neue Migrationspolitik und der Kurs gegen die Universitäten sind auch nicht hilfreich. Zum einen werden einfache Tätigkeiten in der Industrie häufig von Einwanderern erledigt. Und die sollen nun in großer Zahl deportiert werden. Zum anderen braucht man für Hochtechnologie sehr gut ausgebildete Fachkräfte. Die werden auch abgeschreckt. Der typische Ingenieurstudent in den USA hat oft einen asiatischen Migrationshintergrund, kommt aus China oder Indien.

Trump will mit den Zöllen die Handelsbilanzdefizite nach unten bringen, die die USA mit anderen Ländern hat. Kann ihm das gelingen?

Es ist absurd, dass er jedes bilaterale Handelsbilanzdefizit ausgleichen will. Das ergibt keinen Sinn. Ich habe ja auch ein bilaterales Handelsbilanzdefizit gegenüber meinem lokalen Supermarkt, und das ist ja völlig okay. Es ist außerdem Unsinn, nur auf die Handelsbilanz zu schauen, bei der es nur um physische Güter geht. Bei Dienstleistungen haben die USA einen Überschuss, zumindest gegenüber Europa. Handelsbilanz und Dienstleistungsbilanz ergeben in etwa zusammen die sogenannte Leistungsbilanz. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Der Grund für das Leistungsbilanzdefizit der USA gegenüber dem Rest der Welt ist das sogenannte exorbitante Privileg.

Das müssen Sie erklären.

Der Dollar ist die globale Leitwährung, weil die ganze Welt ihr Geld in den USA anlegen will. Dadurch kann sich das Land extrem verschulden und stark konsumieren - das führt zum Leistungsbilanzdefizit. Ironischerweise schädigt Trump wesentliche Voraussetzungen für dieses Privileg: Rechtsstaatlichkeit, eine verlässliche Politik. Die US-Regierung ist auf dem Weg, das Vertrauen in den größten Kapitalmarkt der Welt nachhaltig zu zerstören. Wenn die USA ihre Attraktivität als Anlagemarkt einbüßen, würde das Leistungsbilanzdefizit und vielleicht auch das Handelsbilanzdefizit sinken. Aber es wäre ja völlig bescheuert, so zu handeln.

Wieso setzt Trump so sehr auf Zölle?

Er folgt einer völlig veralteten Wirtschaftstheorie. Re-Industrialisierung kann man ohne Zölle erreichen, beispielsweise durch Subventionen. Für Trump ist Handel ein Nullsummenspiel, bei dem einer gewinnt und der andere verliert. Dass Handel freiwillig stattfindet zum Vorteil beider Seiten, versteht er nicht. Er sieht die USA als Opfer - was schon deshalb falsch ist, weil die US-Wirtschaft viel stärker gewachsen ist als beispielsweise die europäische. Aber Trump liebt Zölle so, wie er offenbar das 19. Jahrhundert liebt. Das hängt mit der gesellschaftspolitisch reaktionären Revolution zusammen, die er und sein Umfeld durchsetzen wollen.

Mit Rüdiger Bachmann sprach Jan Gänger

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