Am Abend des 11. April stürmten Kämpfer der sudanesischen RSF-Miliz das Flüchtlingslager Samsam am Rande der Stadt Al-Faschir. Sie hatten zuvor stundenlang das Camp beschossen – mit Artillerie, Drohnen und anderen Waffen. Dann durchbrachen sie die Barrieren, zerstörten hunderte Unterkünfte, legten den Markt in Schutt und Asche.
Dann richteten sie ihr Ziel auf die letzte Hoffnung der Schutzlosen: die einzige verbliebene Klinik im Lager. Neun Mitarbeiter der Hilfsorganisation Relief International wurden getötet, darunter Ärzte, Fahrer, das gesamte medizinische Personal vor Ort.
Seit einem Jahr versuchen die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF), die Kontrolle über Al-Faschir zu übernehmen. Es ist die letzte Großstadt in Darfur im Westen des Landes, die von ihrem Kriegsgegner gehalten wird, der sudanesischen Armee. Allein in den vergangenen Tagen wurden mehr als 400 Menschen getötet, teilten die UN mit Verweis auf „glaubwürdige Quellen“ mit – 148 Tote habe man verifizieren können.
Es sind also denkbar schwierige Begleitumstände, unter denen in London seit Dienstag eine internationale Konferenz zum Sudan stattfindet, exakt zwei Jahre nach dem plötzlichen Beginn der Kämpfe. 17 Länder sind der gemeinsamen Einladung von Großbritannien, Deutschland, Frankreich, der Afrikanischen Union sowie der EU gefolgt.
Die Kriegsparteien werden aber wohl wieder einmal fehlen. Bislang gelang es bei keiner der meist unkoordinierten Friedensinitiativen, beide Seiten an einen Tisch zu bekommen. Die Armee erzürnt, dass mit den Vereinigten Arabischen Emiraten die RSF-Finanzierer eingeladen wurden, was angesichts der schlecht getarnten Unterstützung der Emirate für die Miliz durchaus verständlich, aber trotzdem Starrsinn ist.
Ein Frieden im Sudan wird nur über Verhandlungen mit den internationalen Unterstützern beider Seiten möglich sein. Sudans von der Muslimbruderschaft unterwanderte Armee kann auf der anderen Seite auf den Iran und Russland zählen. Sowohl der Armee als auch der RSF-Miliz werden zahlreiche Kriegsverbrechen vorgeworfen.
Die große Frage wird sein, ob konkrete Sanktionen gegen die VAE als Druckmittel auf den Tisch kommen. Ein überfälliger Schritt, argumentiert so mancher Analyst, ungeachtet der für den Westen bedeutsamen strategischen Rolle der Emirate im Nahen Osten. Es gilt als aktenkundig, dass die Emirate die RSF-Miliz von Sudans Nachbarland Tschad aus mit Waffen beliefern, über einen kleinen Flugplatz in der Nähe von Sudans Grenze und unter dem Deckmantel vermeintlicher medizinische Lieferungen.
„Diese umfangreichen und anhaltenden Lieferungen reichten von kleinen und leichten Waffen bis hin zu Drohnen, Flugabwehrraketen, Mörsern und verschiedenen Arten von Munition“, heißt es in einem UN-Expertenbericht. Wahrscheinlicher ist aber, dass sich auch diese Konferenz auf humanitäre Aspekte konzentriert.
Nach UN-Angaben wurden bislang zehntausende Menschen getötet, nach US-Schätzungen sogar bis zu 150.000. Mehr als 13 Millionen Menschen sind auf der Flucht, drei Millionen davon in den überwiegend fragilen Nachbarstaaten der Region.
Derweil ist nur ein Bruchteil der dringend erforderlichen internationalen Nothilfe für die teils hungernde Bevölkerung finanziert. Das soll sich mit dieser Konferenz ändern, zumindest ein wenig. Ein Waffenstillstand, oder gar Frieden, ist aber noch immer nicht in Sicht.
Die Armee konnte zuletzt weite Teile der Hauptstadt Khartum sowie der umliegenden Großstädte Bahri und Omdurman zurückerobern. Umso heftiger schlägt die RSF nun in ihrem Machtzentrum Darfur zurück. Sudans Außenminister sagte, dass die RSF ausgerechnet während der Konferenz eine Parallelregierung für Darfur ausrufen könnte. Ein Zerfall des Landes im Stil von Libyen würde damit noch wahrscheinlicher als ohnehin schon.
Längst ereignet sich im Sudan die größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart, und nirgends zeigt sich das so dramatisch wie in Al-Faschir. Seit zwölf Monaten ist die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten. Der BBC gelang es vor Kurzem jedoch, Handys in die Stadt zu schmuggeln.
Was Anwohner daraufhin dokumentierten, ist ein zutiefst verstörender Einblick in das Leben unter Belagerung: Zivilisten berichten von unaufhörlichem Beschuss, Plünderungen, systematischer Vergewaltigung und ethnischer Säuberung. Wasser wird aus Kloaken getrunken, Strom gibt es nur noch über Batterien oder Solarpanels – und wer Licht macht, riskiert, von Drohnen geortet zu werden.
Besonders die Frauen müssen eine Machtübernahme durch die RSF fürchten. Wenn die Stadt falle, werde sie vielleicht vergewaltigt, wird eine junge Frau namens Hafiza von der BBC zitiert. Diese Angst ist begründet: In anderen Städten Darfurs kam es nach der Einnahme durch die RSF zu Massakern an nicht-arabisch geprägten Bevölkerungsgruppen, insbesondere an den Massalit. Zehntausende wurden getötet, Tausende Frauen systematisch vergewaltigt. Die USA bezeichneten die Situation im vergangenen Jahr als Völkermord.
Deutschland gehört seit Kriegsbeginn zu den wichtigsten Geberländern für die Versorgung der Bevölkerung, jeder zweite Sudanese ist inzwischen auf Nothilfe angewiesen. „Um das Leid der Menschen in der Region zu lindern und die Lage in den Nachbarländern zu stabilisieren, übernimmt auch Deutschland Verantwortung und wird weitere 125 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen“, teilte die scheidende Außenministerin Annalena Baerbock mit.
Die Sache mit der Verantwortung liegt allerdings im Auge des Betrachters. Im Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2025 sind nur noch 1,04 Milliarden Euro für die weltweit von Deutschland finanzierte humanitäre Hilfe vorgesehen. Das ist nicht einmal mehr die Hälfte des Vorjahres, als noch 2,23 Milliarden Euro zur Verfügung standen.
Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.
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