Mit seinen 155 Metern Länge und 18 Metern Breite bietet der Lenkwaffenzerstörer „USS Gravely“ im Golf von Mexiko ein imposantes Bild. Das amerikanische Kriegsschiff sicherte im vergangenen Jahr den Zugang zum Roten Meer und beteiligte sich am Einsatz gegen die Huthis im Jemen, ist nun aber auf einer ganz anderen Mission.
„Die ‚Gravely‘ ist Teil einer Reihe von Maßnahmen, die wir zur Unterstützung der Operationen an der Südgrenze ergriffen haben“, sagte Admiral Daryl Caudle der US-Nachrichtenseite Wavy. Gemeint ist der Kampf gegen illegale Einwanderung, Drogen- und Waffenhandel sowie grenzüberschreitende Kriminalität.
Fast zeitgleich platzierten die US-Streitkräfte ein gepanzertes Fahrzeug auf einem Hügel nahe der texanischen Stadt El Paso. Blick- und Schussrichtung: die rund drei Kilometer entfernte mexikanische Grenzstadt Ciudad Juarez. Die gilt als eine der gefährlichsten Städte der Welt, weil dort die Drogenkartelle das Sagen haben und den „Vertrieb“ illegaler Substanzen in die USA kontrollieren.
Und jüngst meldeten mexikanische Medien, der Senat in Mexiko-Stadt habe grünes Licht für die Einreise von „US-Rambos“ geben, wie die Zeitung „Reforma“ amerikanische Spezialkräfte in einem Artikel nennt. Deren Aufgabe sei die „Stärkung der Fähigkeiten der Spezialeinsatzkräfte des Marineministeriums“ – des mexikanischen wohlgemerkt.
Drei Meldungen, die zeigen, dass sich das Verhältnis zwischen Mexiko und den USA stark verändert. Die US-Regierung macht Druck, weil sie das in Mexiko produzierte Opioid Fentanyl für eine Drogenkrise in den USA mit zehntausenden Opfern verantwortlich macht. Präsident Donald Trump brachte zuletzt sogar den Einsatz von US-Truppen zur Bekämpfung der mexikanischen Drogenkartelle ins Spiel.
Für die linksgerichtete mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum ist das ein Drahtseilakt, denn einerseits muss sie intern die Souveränität ihres Landes wahren, andererseits sind die Drogenkartelle aufgrund des politischen Versagens ihres Vorgängers Andres Manuel López Obrador (2018 bis 2024) so mächtig geworden, dass es ohne die Hilfe der USA nicht gehen wird. Dafür bekommt Sheinbaum von Trump öffentliches Lob, der US-Präsident nennt sie trotz aller ideologischen Gegensätze eine „wunderbare Frau“.
„Die Sicherheitszusammenarbeit zwischen der mexikanischen Präsidentin und der Trump-Regierung ist eng, strategisch und fast vorbildlich. Für Claudia Sheinbaum ist klar: Wer den Drogenhandel bekämpft und die Migration kontrolliert, stärkt Mexikos Verhandlungsposition“, sagt Diana Luna von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung im Gespräch mit WELT.
„Mexiko hat in den ersten Monaten der Trump-Regierung konkrete Ergebnisse geliefert“, sagt die gebürtige Mexikanerin. 10.000 Mitglieder der Nationalgarde seien an die Grenze entsendet, fast 50 Prozent mehr Fentanyl im Vergleich zu Oktober beschlagnahmt, über zwei Dutzend Kartellbosse ausgeliefert und zahlreiche Labore zerstört worden. „Jetzt wurde bekannt gegeben, dass 40 führende Mitglieder verschiedener Drogenkartelle an die USA ausgeliefert werden.“
Der Austausch zwischen US- und mexikanischen Sicherheitsbehörden laufe heute koordinierter – auch, weil Sicherheit unter Sheinbaum zur Chefsache wurde, sagt Luna. Sie erkennt einen klaren Kurswechsel: Die Linie der Präsidentin unterscheide sich deutlich von der ihres Vorgängers, der die US-Drogenfahndung DEA wegen inoffizieller Einsätze in Mexiko scharf kritisiert hatte.
„López Obrador warf der US-Behörde sogar Spionage vor und verlangte neue Regeln für die Zusammenarbeit. Sheinbaum setzt hingegen auf klare Absprachen und institutionelle Kooperation statt auf Konfrontation“, sagt die Expertin.
Dass Sheinbaum auf die sicherheitspolitischen Avancen der US-Regierung eingeht, zeigt auch ihre Reaktion auf die Kritik eines eigentlich ideologisch eng Verbündeten. Als Washingtons politischer Erzfeind, das mit Mexikos Linksregierung befreundete kommunistische Regime in Kuba, die Entsendung der „USS Gravely“ in den Golf von Mexiko als „eine Gefahr für die Sicherheit von Lateinamerika und der Karibik“, kritisierte, reagierte Sheinbaum kühl.
„Es wäre schlimm, wenn wir nicht informiert worden wären“, oder wenn das Schiff mexikanische Gewässer erreicht hätte, so die Präsidentin. Die Aktion sei aber nicht gegen Mexiko gerichtet. „Sie überwachen ihre Grenzen für den Fall, dass Drogen oder andere Dinge in die Vereinigten Staaten gelangen“, sagte Sheinbaum und ließ Havannas Kritik damit ins Leere laufen.
„Möglicherweise überbewertet“
Zurückhaltender bewertet Adam Isacson, Director for Defense Oversight vom US-Think Tank Washington Office on Latin America im Gespräch mit WELT die Lage. Es gebe noch zu wenige Informationen über das, was tatsächlich passiere. „Das Ausmaß der Annäherung wird möglicherweise überbewertet“, sagt Isacson.
„Es wird immer eine militärische Zusammenarbeit zwischen zwei Ländern geben, die eine 2000 Meilen lange Grenze und viele andere Interessen teilen.“ Der gut 3200 Kilometer lange Grenzverlauf entspricht fast der Nord-Süd-Ausdehnung Europas.
Es sei auch möglich, dass die Militärhilfe der USA für Mexiko während der Trump-Regierung zunehme. Aber aufgrund der anti-mexikanischen Rhetorik von Trump und des Wunsches der Sheinbaum-Regierung, eine gewisse Distanz zu wahren, sieht Isacson keine Rückkehr auf ein Niveau der Zusammenarbeit während der Präsidentschaft von Felipe Calderón (2006 bis 2012).
Der konservative Calderón entschied sich mit Unterstützung der damaligen Präsidenten Georg W. Bush und Barack Obama für einen harten Krieg gegen die Drogenkartelle, die Zahl der Gewalttoten lag bei 120.000.
Unter Sheinbaums Vorgänger López Obrador, der auf einen toleranten Umgang mit den Drogenkartellen setzte, stieg die Zahl der Gewalttoten auf fast 200.000 und die Kartelle bauten ihre Macht deutlich aus. Sheinbaum hat dieses Desaster von ihrem Parteifreund geerbt.
„Die Vereinigten Staaten versuchen seit mehr als 40 Jahren gemeinsam mit Mexiko und anderen Partnerländern das organisierte Verbrechen hart zu treffen. Und es hat nicht funktioniert“, sagt Experte Isacson. Ein effektiverer Ansatz sei es, die Verbindungen zwischen korrupten Elementen innerhalb der Regierung und dem organisierten Verbrechen zu unterbrechen.
„Das bedeutet, dass wir ein sehr starkes und effektives Justizsystem brauchen, das unabhängig ist. Es bedeutet, Ermittler, Whistleblower und Reformer in allen Regierungsinstitutionen und in der Zivilgesellschaft zu schützen. Und es bedeutet auch, einige wirklich unangenehme Gespräche mit ‚Partner‘-Regierungen über die Elemente innerhalb ihrer Institutionen zu führen, die den Kampf gegen das organisierte Verbrechen tatsächlich untergraben.“ Zurzeit setzen beide Regierungen aber erst einmal auf Bilder der militärischen Stärke.
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.