Lange hatte der Iran sich geweigert, neue Verhandlungen über sein Atomprogramm zu führen, während das Land unter starkem Sanktionsdruck der USA steht. Dass sich iranische Vertreter nun am Samstag mit dem amerikanischen Nahost-Sondergesandten Steve Witkoff zu einem ersten Sondierungsgespräch treffen, darf deshalb als Erfolg Donald Trumps gewertet werden.

Der US-Präsident hatte Mitte März in einem Brief an Revolutionsführer Ali Chamenei ernste Gespräche über das iranische Atomprogramm eingefordert, eine Frist von zwei Monaten gesetzt und andernfalls militärische Aktionen angedroht. Die Amerikaner hatten eine veritable Drohkulisse aufgebaut: Mindestens sechs B-2-Tarnkappenbomber plus Tankflugzeuge waren zuletzt auf der Basis Diego Garcia im Indischen Ozean eingetroffen, in Schlagdistanz zum Iran.

Dann wurde ein zweiter Flugzeugträgerverband um die USS Carl Vinson in den Nahen Osten beordert. Die USA lieferten auch drei weitere Flugabwehrsysteme an Israel, was als Schutzmaßnahme verstanden werden konnte gegen iranische Gegenschläge nach einem möglichen Angriff auf Teherans Atomprogramm.

Wie „The Free Press“ berichtet, hatten US-Offizielle intern schon über mögliche Ziele im Iran debattiert, die entweder von Israel oder den USA ausgeschaltet werden könnten. Dies betreffe sowohl das Atomprogramm als auch Produktionsstätten für Drohnen und ballistische Raketen. Die Botschaft: Wir meinen es diesmal ernst.

Iran ist so verletzlich wie lange nicht

In Teheran scheint man das verstanden zu haben, weshalb die Mullahs nun zu Gesprächen bereit scheinen, obwohl die Sanktionen verschärft wurden. Das Regime weiß, dass es so verletzlich ist wie lange nicht. In der Vergangenheit hatten sich Israelis wie auch Amerikaner kaum getraut, mögliche Angriffe auf das Atomprogramm zu fliegen, wegen der enormen Abschreckungsmacht, die Teheran in der Region aufgebaut hatte.

Der Iran hatte Israel mit einem „Feuerring“ aus hoch gerüsteten iranischen Verbündeten umzingelt: der Hisbollah im Libanon, der Hamas in Gaza und den Huthis im Jemen. Hinzu kamen eigene und Hisbollah-Kräfte im Syrien des inzwischen gestürzten Diktators Baschar al-Assad. Dieser Ring ist durch den Gaza-Krieg in sich zusammengefallen.

Israel hat die Hamas und die Hisbollah entscheidend geschwächt und mit dem Sturz Assads ist auch Syrien aus der „Achse des Widerstands“ herausgebrochen. Die iranischen Angriffe auf Israel und die israelischen Gegenschläge haben zudem gezeigt, dass die Mullahs wenig Chancen haben, Israels Flugabwehr zu durchbrechen, während sie selbst überaus verletzlich sind.

„Iran ist an einer Wegscheide, es kann entweder einen politischen Ausweg nehmen oder militärisch getroffen werden“, sagte Nahostexpertin Sanam Vakil von der Denkfabrik Chatam House der „New York Times“. „Es ist ein Jahr wirklich folgenreicher Entscheidungen; und wie sie ihr Blatt spielen, könnte entweder ihr Regime verlängern oder zu weiteren Angriffen führen und zu einer Schwächung der Regierung.“

Dringlichkeit besteht aber auch auf westlicher Seite. Denn seit Trump in seiner ersten Amtszeit 2018 aus dem Atomdeal (JCPOA) ausgestiegen ist, hat sich Teheran der Bombe immer weiter genähert. Wie die Internationale Atomenergiebehörde IAEA Anfang März mitteilte, verfügt der Iran inzwischen über 40 Mal so viel angereichertes Uran wie das JCPOA eigentlich zulässt.

USA wollen das Atomprogramm zurückbauen

David Albright, der zu den besten Kennern des iranischen Atomprogramms gehört, und sein Team am Washingtoner Institute for Science and International Security haben die Bedrohungslage gerade auf „extrem gefährlich“ hochgestuft. „Diese Gefahrenlage resultiert daraus, dass der Iran bessere nukleare Waffenkapazitäten installiert hat, seinen Zeitrahmen für den Bau von Nuklearwaffen verkürzt hat und dass es innerhalb des Iran inzwischen normal geworden ist, den Bau von Atomwaffen in Diskussionen zu favorisieren“, schreibt Albright auf X.

Ziel der USA ist es deshalb, das iranische Atomprogramm nicht nur einzufrieren, sondern zurückzubauen. Es gehe um die „komplette Demontage“, sagte Trumps Nationaler Sicherheitsberater Michael Waltz dem TV-Sender CBS. Das betreffe sowohl die Urananreicherung als auch den Bau eines Nuklearsprengkopfes und das strategische Raketenprogramm.

Die Mullahs hingegen werden vor allem auf Zeit spielen und versuchen, sich die Option auf die Bombe offenzuhalten. Möglicherweise hoffen sie, in einigen Jahren wieder ein größeres Abschreckungspotenzial aufgebaut zu haben – und dass nach Trump ein US-Präsident ins Weiße Haus einziehen könnte, der weniger bereit sein könnte, militärische Gewalt auszuüben.

Wie die Nachrichten-Webseite „Axios“ aus Diplomatenkreisen berichtet, könnte der Iran am Samstag deshalb vorschlagen, einen Interimsdeal anzustreben und erst später über das ganze Programm zu verhandeln. Solch ein Zwischenabkommen könnte unter anderem beinhalten, die iranische Urananreicherung zu begrenzen, die Lagerbestände an höher angereichertem Uran mit niedriger angereichertem zu „verwässern“ und UN-Inspekteuren besseren Zugang zu Atomanlagen zu gewähren. Laut Experten würden diese Maßnahmen Irans Weg zur Bombe jedoch nur unwesentlich verlangsamen.

Clemens Wergin ist seit 2020 Chefkorrespondent Außenpolitik der WELT. Er berichtet vorwiegend über den Ukraine-Krieg, den Nahen Osten und die USA.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.