Der Bundesnachrichtendienst (BND) muss keine Fragen zu seinem Wissen über den Ursprung des Coronavirus beantworten. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht nach einem Eilantrag des Axel-Springer-Verlages, zu dem auch WELT AM SONNTAG gehört. In dem Beschluss vom 14. April heißt es, hinsichtlich sämtlicher Fragen, die diese Redaktion hatte, bestünde ein „schutzwürdiges Interesse an der Versagung der Auskünfte“. Dieses liege in dem Schutz der Funktionsfähigkeit sowie der auswärtigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland begründet.
Mitte März wurde berichtet, dass der BND als deutscher Auslandsgeheimdienst bereits 2020 im Auftrag des Kanzlers untersucht habe, ob das Coronavirus aus einem Labor im chinesischen Wuhan stammen könnte. Der BND bewerte die Laborthese mit einer Wahrscheinlichkeit von „80–95 Prozent“. Grundlage dieser Erkenntnis waren die Analyse öffentlicher Daten und Material, das im Rahmen einer nachrichtendienstlichen Operation mit dem Codenamen „Saaremaa“ beschafft wurde. Ende vergangenen Jahres sollen Experten damit beauftragt worden sein, die Erkenntnisse zu untersuchen, darunter der aus Pandemiezeiten bekannte Virologe Christian Drosten.
WELT AM SONNTAG wollte mittels einer Presseanfrage herausfinden, wann der BND das Kanzleramt über seine Erkenntnisse informiert hat, ob es stimmt, dass diese als „geheim“ eingestuft wurden und wer das veranlasst hat, und ob der BND Einwände gegen eine Unterrichtung des Bundestags hatte. Außerdem fragte diese Zeitung, wieso ausgerechnet Drosten zur Überprüfung der BND-Infos ausgewählt und ob er davor einer Sicherheitsprüfung unterzogen wurde. Da laut mehreren Medienberichten Inhalte einer „Verschlusssache“ öffentlich wurden, wollte die Redaktion wissen, ob die Regierung Ermittlungen zu diesem Leak aufgenommen hat.
Nachdem die Bundesregierung die Auskunft verweigert hatte, reichte Axel Springer beim Bundesverwaltungsgericht einen Eilantrag gestützt auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch ein. Die Richter in Leipzig sind in erster und letzter Instanz für Klagen, die den Geschäftsbereich des BND betreffen, zuständig.
Der Geheimdienst hatte Erfolg mit seiner Argumentation, dass die begehrten Auskünfte seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigen könnten, da die Fragen „jedenfalls mittelbar operative Vorgänge“ beträfen. Die Bundesregierung habe den Inhalt der Medienberichte bisher weder bestätigt noch dementiert, so die Richter. Bei Beantwortung der Fragen müsste sie aber dazu Stellung nehmen.
Falls die behaupteten Erkenntnisse bestätigt würden, wären Rückschlüsse auf Erkenntnisquellen des BND möglich, was zu einer Gefährdung der nachrichtendienstlichen Arbeit führen könne. Auch bei einer Verneinung ließe sich in Zusammenschau mit anderen Informationen ein genaueres Bild der Fähigkeiten und Arbeitsweise des BND zeichnen. Außerdem könne eine Antwort „in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht erhebliche Auswirkungen auf die diplomatischen Beziehungen zur Volksrepublik China haben“.
Was die Fragen zu Drosten angeht, stünde einer Offenlegung sein Persönlichkeitsrecht entgegen. „Mit Rücksicht auf seine Beratertätigkeit für die frühere Bundesregierung und der mitunter harschen Kritik in den sozialen Medien an seiner Person und seiner Tätigkeit als Virologe können aufgrund einer möglichen Prangerwirkung Folgen für seine Privatsphäre nicht ausgeschlossen werden“, so das Gericht.
Rechtsanwalt Christoph Partsch, der Axel Springer in diesem Verfahren vertreten hat, sieht die Entscheidung vor allem in zwei Punkten kritisch: Zum einen schränke sie den BND bei seiner Einschätzung, dass die Herausgabe der Informationen außenpolitische Interessen gefährde, nicht ausreichend ein. Das Gericht verkenne, dass der BND nicht grundsätzlich von der Auskunftspflicht gegenüber der Presse ausgenommen sei, und hätte differenzierter zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse und den geheimdienstlichen Belangen abwägen müssen.
Zum anderen sei es im Hinblick auf die Fragen zu Drosten „unvertretbar“, dass die Richter unterstellen würden, dass bereits von der bloßen Recherche zu Tatsachen eine Prangerwirkung ausgehe. Eigentlich gelte die „Zwei-Stufen-Theorie“: Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung könne sich noch nicht auf der Stufe der Informationsbeschaffung, etwa das Abfotografieren eines Polizisten, sondern erst auf der Stufe der Informationsverwendung, wenn der Abdruck dieses Fotos in der Zeitung erfolge, ergeben.
Das Gericht habe der Entscheidung der Presse vorgegriffen, ob und wie sie über die Sicherheitsüberprüfung Drostens berichtet. Wenn sich herausstellt, dass eine solche Prüfung ordnungsgemäß erfolgt ist, wäre das wahrscheinlich gar keinen Artikel wert, so Partsch. Sei sie dagegen unterblieben, und Drosten hat trotzdem Zugang zu geheimen Informationen erhalten, handele es sich dabei um einen Skandal, der Aufmerksamkeit verdiene.
Möglicherweise hat das Gericht Drosten sogar gegen seinen Willen geschützt. Auch schon bei dem Streit um die Entschwärzung der Protokolle des Corona-Expertenrats hatte sich die Bundesregierung darauf berufen, Drosten und die anderen Ratsmitglieder vor Anfeindungen aus dem Querdenken-Lager schützen zu müssen. Daher könne man nicht offenlegen, welcher Experte im Rat welche Aussage getätigt habe, so die Argumentation damals.
Das Verwaltungsgericht Berlin hielt das für zu unkonkret, da die Regierung die Experten nicht einmal gefragt hatte, ob sie mit einer Preisgabe ihrer Daten einverstanden wären. Dieses „Drittbeteiligungsverfahren“ hat die Regierung nun nachgeholt. Das für den ein oder anderen vielleicht überraschende Ergebnis: Drosten erklärte seine Einwilligung zur Entschwärzung seiner Aussagen.
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