Die Debatte über den Umgang mit der AfD belastet schon vor der Amtsübernahme der schwarz-roten Regierungskoalition das Verhältnis zwischen Union und SPD. In den Reihen der Sozialdemokraten gibt es Irritationen über die Forderung von CDU/CSU-Fraktionsvize Jens Spahn, der AfD „unaufgeregter“ zu begegnen und der größten Oppositionspartei einige Ausschuss-Führungen zu überlassen. Seine Partei sei bei dieser Frage „absolut humorlos“, warnte daraufhin der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner in WELT AM SONNTAG.

Eine Annäherung gleich welcher Art würde einen „maximalen Belastungstest“ für das schwarz-rote Regierungsbündnis bedeuten. „Wer mit der SPD koalieren will, der kann nicht mit Rechtsradikalen gemeinsame Sache machen. Und gemeinsame Sache machen heißt auch: Demokratiefeinde zu wählen“, sagte er. Stattdessen fordert der Parteilinke vom Bundestag, umgehend ein Parteiverbotsverfahren einzuleiten, wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD als gesichert rechtsextremistisch einordnen würde. „Wenn es zu einer Hochstufung durch den Verfassungsschutz kommt, dann haben wir auch die Pflicht, auf die Einleitung eines Parteiverbots hinzuwirken“, so Stegner.

Diesen Automatismus wiederum weist die Union zurück: „Aus einer Hochstufung seitens des Verfassungsschutzes eine Pflicht zu einem Verbotsverfahren abzuleiten, geht ganz offensichtlich an der Rechtslage vorbei“, reagierte der rechtspolitische Sprecher der CDU-CSU-Fraktion, Günter Krings, gegenüber WELT auf Stegners Forderung. „Die AfD muss von uns politisch bekämpft werden, indem wir ihren Extremismus bloßstellen“, plädierte er. „Das beste Rezept gegen die AfD sind konkrete Erfolge der neuen Bundesregierung, vor allem bei Migration, Sicherheit und Wirtschaft.“

Von einer neuen Debatte um ein AfD–Verbotsverfahren rät Krings dringend ab, weil damit „nur abgelenkt würde vom viel entscheidenderen politischen Kampf gegen die AfD. Bei einer neuen Verbots-Diskussion würde sich die AfD nur die Hände reiben und dies als kostenlose Unterstützung ihres Opfer-Mythos nutzen.“

Das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz stufte die AfD 2021 bundesweit als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Seither darf der innerdeutsche Geheimdienst die Partei auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten, etwa durch das Observieren von Treffen oder das Anwerben von Informanten in der Partei. Auf Basis dieser Beobachtungen sollte ein Gutachten zu der Frage entstehen, ob eine Hochstufung in „gesichert rechtsextremistisch“ angezeigt sei.

Eigentlich sollte die Analyse bereits im Herbst 2024 vorliegen. Doch dann kamen nicht nur das Ampel-Aus und die vorgezogene Bundestagswahl dazwischen. Auch entschied sich der bisherige Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang, selbst als CDU-Kandidat für den Bundestag anzutreten. Dafür wurde ihm auch in der eigenen Partei mangelndes Fingerspitzengefühl vorgehalten.

Verbotsverfahren? Das „allerletzte Mittel“

Durch seine Bundestagsambitionen ermögliche es der langjährige Geheimdienstchef der AfD, das „Opfer-Narrativ“ zu stärken und dem Verfassungsschutz parteipolitische Motive zu unterstellen, monierten Kritiker. Die Co-Vorsitzende der AfD, Alice Weidel, wetterte nach Bekanntwerden der Kandidatur, Haldenwang erhalte für die „Benachteiligung der AfD“ zur Belohnung ein Mandat. Allerdings blieb der Wahlkampf des Wuppertalers erfolglos, Haldenwang schaffte es nicht ins Parlament. Und seine Nachfolge an der Spitze des Verfassungsschutzes ist derzeit offen. Doch bis diese Personalie geklärt ist, dürfte es keine Präsentation einer AfD-Neubewertung geben. Das Bundesinnenministerium (BMI) betont sogar, das „sehr umfangreiche und komplexe“ AfD-Gutachten liege noch gar nicht vor, der Verfassungsschutz arbeite noch „mit der notwendigen Sorgfalt“ daran.

Die Frage, wie man mit der immer stärker werdenden AfD im Bundestag begegnen sollte, wird indes auch ohne Gutachten wohl zu weiterem Zwist führen. Denn die Meinungen gehen nicht nur zwischen den künftigen Bündnispartnern Union und SPD auseinander, sondern auch innerhalb der Parteien. Anders als Ralf Stegner und SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, der sich gerade ebenfalls für ein Verbotsverfahren aussprach, ist beispielsweise Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zurückhaltender. Denn ein Verbotsverfahren, so seine Warnung, könne auch scheitern – und das wäre „ein Fest für die AfD“, sagte er der WELT AM SONNTAG.

Auch der Kieler Oberbürgermeister Ulf Kämpfer, von Haus aus Verfassungsrechtler, hält ein AfD-Verbotsverfahren für das „wirklich allerletzte Mittel“. Nicht nur könne es „als Akt der Rat- und Hilflosigkeit erscheinen“, auch wäre sein Ausgang vollkommen offen, warnte der Sozialdemokrat. „Ich würde meiner Partei nicht empfehlen, sich darauf zu konzentrieren“, so Kämpfer, der bei der schleswig-holsteinischen Landtagswahl 2027 als Spitzenkandidat antreten will.

Die AfD selbst reagiert auf die jüngste Debatte gelassen, aber auch mit Spott. „Die abermalige Forderung nach einem AfD-Verbotsverfahren entbehrt jeder Grundlage und wäre völlig aussichtslos“, so Parteichefin Weidel. „Statt sich mit absurden und demokratiefeindlichen Verbotsfantasien zu beschäftigen, sollte sich Herr Stegner lieber Gedanken darüber machen, warum seiner Partei seit Jahren die Wähler in Scharen davonlaufen.“ Auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht formulierte ihre Kritik sarkastisch: „Erst gigantischer Wahlbetrug, dann Verbotsdebatte: geht es noch dümmer?“, fragte sie gegenüber WELT. „Dass ausgerechnet aus der selbsternannten ,demokratischen Mitte‘ jetzt solche Vorschläge kommen, ist blamabel und wird die AfD weiter stärken.“ Wagenknecht, die mit ihrer neugegründeten Partei BSW am Einzug in den Bundestag gescheitert war, hält die Verbotsdebatte für antidemokratisch: „Keine Frage, in einer Autokratie würde man das ,Problem‘ exakt so lösen.“

Forderung nach Nachbesserung des Koalitionsvertrags

Auch der Generalsekretär der aus dem Bundestag gewählten FDP, Marco Buschmann, ist skeptisch, was ein AfD-Verbotsverfahren angeht: „Wenn es scheitert, könnten die AfD-Populisten quasi mit einem Persilschein durch die Gegend marschieren und sich als Opfer inszenieren“, mahnte der ehemalige Bundesjustizminister. Die AfD könne nur mit konkreten Lösungen wie einer konsequenten Eindämmung der irregulären Migration, einer deutlichen steuerlichen Entlastung der Bürger sowie einer echten Wirtschaftswende für gute Jobs klein gemacht werden. Der Entwurf des Koalitionsvertrags von Schwarz-Rot liefere in dieser Hinsicht aber viel zu wenig. „Wenn Friedrich Merz seinen eigenen Ankündigungen gerecht werden möchte, muss er deutlich nachbessern.“

Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger dagegen stellt sich klar hinter Stegners Verbots-Forderung: „Wenn eine Partei systematisch darauf hinarbeitet, Menschenwürde, Gleichheit und Demokratie zu beseitigen, darf der Rechtsstaat nicht schweigen“, so die Juristin. Die AfD hetze nicht nur, sie wolle tatsächlich den Staatsumbau und eine autoritäre Wende vorantreiben. „Es ist deshalb richtig, die AfD vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.“ Sie fordere von Union und SPD, Mehrheiten für AfD-Ausschussvorsitze durch Stimmen aus den künftigen Koalitionsparteien zu verhindern. „Vor diesem Hintergrund ist es brandgefährlich, dass es in der Union eine Strömung gibt, die rhetorisch auf eine Zusammenarbeit mit der AfD hinarbeitet.“

Politikredakteurin Hannelore Crolly schreibt bei WELT über bundes- und landespolitische Themen, vor allem in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Zuvor war sie Wirtschaftskorrespondentin in Frankfurt, San Francisco und Brüssel.

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