Acht Monate nachdem er aus belarussischer Gefangenschaft freigekommen ist, weht im Leben von Rico Krieger wieder ein Hauch von Normalität. Der 31-Jährige lebt in Süddeutschland und geht wieder seiner Profession als Rettungssanitäter nach. Einfach war das nicht: „Vielen Arbeitgebern war es zu heiß, mich einzustellen. Ich habe in den Vorstellungsgesprächen kein Geheimnis daraus gemacht, wer ich bin.“

Rico Krieger ist nicht nur Ex-Gefangener des Regimes von Diktator Alexander Lukaschenko, freigelassen im Zuge eines spektakulären Gefangenenaustauschs zwischen dem Westen sowie Russland und russischen Verbündeten im August 2024 – er ist auch Beschuldigter in einem Terrorverfahren, das der Generalbundesanwalt (GBA) gegen ihn führt.

Wie WELT AM SONNTAG im Herbst 2024 enthüllte, ermittelt die oberste deutsche Strafverfolgungsbehörde wegen des Herbeiführens einer Sprengstoff-Explosion, strafbar gemäß Paragraf 308 des Strafgesetzbuches, begangen im Auftrag eines ukrainischen Geheimdienstes. Stand des Verfahrens: weiterhin ungewiss. Auf Anfrage dieser Redaktion wollte der GBA keinen Kommentar abgeben.

Der Fall ist hochbrisant. In Justizunterlagen heißt es, das Verfahren habe „eine besondere politische Dimension“. Ein Anschlag im Auftrag eines fremden Nachrichtendienstes stelle eine erhebliche Souveränitätsverletzung dar. Wenn deutsche Staatsangehörige derartige Verbrechen begehen, könne dies die Reputation der Bundesrepublik beschädigen. Krieger, der seine Unschuld beteuert, sagte vergangene Woche: „Seelisch geht es mir ziemlich beschissen. Jeden Tag mit dem Wissen aufzuwachsen, dass dieses Verfahren weiterläuft – das macht mir Druck.“

In Belarus war er im Sommer 2024 wegen eben jener Sprengstoff-Explosion zum Tode verurteilt, jedoch später begnadigt worden; abgeschlossen war die Sache damit nicht. Wie diese Redaktion erfuhr, wurden Krieger noch im Zuge des Gefangenenaustauschs unter anderem Mobiltelefone und schriftliche Notizen von deutschen Beamten abgenommen, um diese im Zuge der da schon laufenden GBA-Ermittlungen auszuwerten; bis heute hat er die Asservate nicht zurück.

Die polizeilichen Ermittlungen werden vom LKA Niedersachsen geführt. Gegenüber den Ermittlern machte Krieger jüngst von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, wies die Vorwürfe bloß gegenüber WELT AM SONNTAG zurück. Anwaltlich vertreten wird er von dem Linken-Politiker Gregor Gysi. Krieger kritisierte im Gespräch mit dieser Redaktion, dass ihm und seinem Anwalt Akteneinsicht verwehrt worden sei. Allerdings soll er, so heißt es aus Ermittlerkreisen, bislang gar keinen entsprechenden Antrag gestellt haben.

Die Angelegenheit ist außergewöhnlich – auch weil Krieger fast alle vom GBA rekonstruierten Vorgänge bestätigt. Die Ermittler verdächtigen ihn, sich im Jahr 2023 für einen Einsatz beim belarussischen Kastus-Kalinouski-Regiment in der Ukraine beworben zu haben – in Funktion als Sanitäter, Drohnenpilot oder Kfz-Mechatroniker. Die oppositionelle Freiwilligengruppe kämpft aufseiten der Ukraine gegen die Russen. Doch nicht das Regiment selbst soll auf seine Bewerbung reagiert haben, sondern vielmehr der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU – so schilderte es Krieger später in seiner Aussage gegenüber belarussischen Ermittlern. Man habe ihn gebeten, nach Minsk zu reisen, wo die Vorbereitung auf einen möglichen Kriegseinsatz stattfinden sollte.

Nach seiner Ankunft in Belarus habe der SBU ihn angewiesen, Fotos von Militärfahrzeugen und einer Laderampe zu machen. Anschließend habe man ihn in ein Waldstück geschickt, um dort einen Rucksack abzuholen und diesen später an einem Bahngleis zu deponieren. Den Anweisungen sei er gefolgt. Der Inhalt des Rucksacks: Sprengstoff, der schließlich – laut belarussischen Angaben – explodierte. Es entstand Sachschaden. Krieger bestätigt diese Abläufe – bis auf einen: das Wissen über den Rucksackinhalt.

Dass sich darin Sprengstoff befunden haben soll, sei ihm nicht bekannt gewesen. Und was ist mit dem Geständnis vor Gericht in Minsk, nachdem er von der Polizei festgenommen und in Untersuchungshaft gesteckt worden war? Dazu hätten ihn belarussische Beamte gedrängt. Nur so, sei ihm gesagt worden, könne er der tatsächlichen Anwendung der Todesstrafe entgehen.

Das gelang – nun hofft er, den Generalbundesanwalt von seiner Unschuld zu überzeugen. Ob es klappt? „Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht“, sagte Krieger zuletzt: „Dieses Verfahren, es läuft ganz einfach weiter.“

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