Wenn die Kardinäle nach der Beisetzung von Franziskus einen neuen Papst wählen, wird es zu einem Konklave kommen wie nie zuvor. Noch nie waren so viele Kirchenmänner aus unterschiedlichen Ländern und Regionen bei der Wahl in der Sixtinischen Kapelle dabei: Die insgesamt 135 wahlberechtigten Kardinäle kommen aus 65 unterschiedlichen Ländern. Allerdings sagten Vinko Puljic aus Bosnien-Herzegowina und der Spanier Antonio Cañizares aus gesundheitlichen Gründe ihre Reisen nach Rom ab – deshalb dürften nur noch 133 Kardinäle an der Wahl teilnehmen. Die Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen, die ein Kardinal braucht, um zum Papst gewählt zu werden, verringert sich somit von 90 auf 89.

Dafür, dass die katholische Weltkirche im Konklave derart heterogen repräsentiert ist, hatte Franziskus selbst gesorgt: 108 der ursprünglich 135 Wahlmänner wurden von ihm zu Kardinälen gemacht. 22 waren unter Benedikt XVI. Kardinäle geworden. Nur noch 5 wahlberechtigte Kardinäle bleiben aus der Zeit von Johannes Paul II. übrig. Nur Kardinäle unter 80 Jahren dürfen den Papst wählen – das bedeutet, dass 117 noch lebende Kardinäle schon zu alt sind.

++ Alle Entwicklungen nach dem Tod von Papst Franziskus im Liveticker ++

Von den aktuell 135 Wahlberechtigten kommen 53 aus Europa, davon 16 aus Italien. Asien stellt 23 Wähler, Lateinamerika (mit Mexiko) 21, Afrika 18, Nordamerika 16 und Ozeanien 4. Ein Kuriosum: Das urkatholische, aber von Missbrauchsskandalen schwer gebeutelte Irland ist schon seit 2019 ohne Stimmrecht im Konklave; seit Januar auch Österreich. Deutschland stagniert seit 2014 bei drei Wählern.

Als „papabile“ – Leute, die die Statur haben, Papst zu werden – sind alles in allem etwa zwei Dutzend Männer im Gespräch. Und grundsätzlich gilt der alte Spruch: „Chi entra papa ner conclave, ne risorte cardinale“ („Wer als Papst ins Konklave hineingeht, kommt als Kardinal heraus“). Es kann also durchaus Überraschungen geben. WELT stellt elf Kandidaten vor:

Pietro Parolin

Der 70 Jahre alte Norditaliener aus der Nähe von Venedig ist seit mehr als einem Jahrzehnt die Nummer zwei im Vatikan. Franziskus erhob den studierten Diplomaten und Doktor des Kirchenrechts schon kurz nach seiner Wahl zum Kardinalstaatssekretär. Seither führte Parolin an seiner Seite die Geschäfte. Er vertrat ihn auch, als Franziskus im Krankenhaus lag. An seiner Loyalität ließ Parolin nie Zweifel aufkommen.

Der Italiener gilt als sehr machtbewusst – anders kommt man in der Kurie nicht weit. Beim Konklave wird er jetzt so oder so eine herausragende Rolle haben: Normalerweise wird die Wahlversammlung in der Sixtinischen Kapelle vom Dekan der Kardinäle geleitet. Der aktuelle Dekan und auch dessen Vize sind aber schon über 80 und damit zu alt. Deshalb ist der ranghöchste Kardinal an der Reihe: Parolin.

Pierbattista Pizzaballa

Als Patriarch von Jerusalem und somit höchster Vertreter der katholischen Kirche im Heiligen Land leitet der Italiener eine der schwierigsten Diözesen der Welt. Im Geburtsland von Jesus Christus stehen die Christen oft zwischen den Fronten. Pizzaballa sieht sich im Nahost-Konflikt als Brückenbauer, allen Schwierigkeiten zum Trotz.

Pizzaballa kommt aus der Ordensgemeinschaft der Franziskaner. Mit seinen 60 Jahren ist der Geistliche, der in Italiens Norden in der Nähe von Bergamo geboren wurde, im Kreis der genannten Kandidaten einer der Jüngsten. Das kann für ihn sprechen – aber auch gegen ihn.

Matteo Zuppi

Als Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz ist der 69-Jährige eine der zentralen Figuren im Vatikan. Der Bischof aus Bologna gilt als bestens vernetzt und sehr einflussreich. Zudem hat er aktuell einen der anspruchsvollsten Posten, die zu vergeben sind: Als Sondergesandter kümmert er sich seit bald drei Jahren darum, im Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln – bislang ohne große Erfolge.

Mehr als einmal war in jüngerer Zeit sein diplomatisches Geschick gefragt, wenn Franziskus wieder einmal für Schlagzeilen sorgte, etwa mit Äußerungen zum Krieg in der Ukraine. Zuppi ist auch eng mit der Comunità Sant'Egidio verbunden, die für den Vatikan schon wiederholt in Vermittlerfunktionen tätig war.

Péter Erdö

Der Primas von Ungarn, Erzbischof von Esztergom-Budapest, gilt unter den als „papabile“ gehandelten Kardinälen als konservativer Kirchenmann. Der 72-Jährige ist insbesondere für seine traditionelle Haltung in vielen Kirchenfragen bekannt und hatte zu Franziskus' Vorgänger Benedikt XVI. eine gute Beziehung. Franziskus' Reformbemühungen beobachtete Erdö hingegen teils kritisch. Unter den Konservativen im Kardinalskollegium wird eine Abkehr von Franziskus' eher progressiven Kurs erwartet. Sie setzen unter anderem auf den Ungarn.

Erdö wurde im Jahr 2000 Weihbischof in Székesfehérvár, 2002 ernannte Papst Johannes Paul II. ihn zum Erzbischof von Esztergom-Budapest, 2003 nahm er ihn ins Kardinalskollegium auf. Er stammt aus einer sehr gläubigen Familie. Erdö erklärte einmal, er habe von seiner Familie gelernt, dass der Glaube das Wichtigste im Leben sei. Seine Eltern konnten unter dem kommunistischen Regime in Ungarn ihre Berufe als Jurist und Lehrerin nicht ausüben.

Luis Antonio Tagle

Der frühere Erzbischof von Manila lebt nun schon seit einigen Jahren in Rom. Der 67 Jahre alte Geistliche aus der katholischen Vorzeigenation in Asien, den Philippinen, wurde 2019 von Franziskus Kardinalpräfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Inzwischen ist er Pro-Präfekt des daraus hervorgegangenen Dikasteriums für die Evangelisierung – einer der wichtigsten Posten der Kurie. Als Dikasterien werden die Zentralbehörden der vatikanischen Kurie bezeichnet, sie sind vergleichbar mit Ministerien.

Tagle wird immer wieder als aussichtsreichster Kandidat genannt, falls die Wahl im Konklave erstmals auf einen Asiaten fallen sollte. Er hat auch chinesische Wurzeln. Wie Papst Franziskus setzt er sich für eine Kirche ein, die an der Seite der Armen steht. Und ebenso wie der Argentinier ist er strikt gegen Abtreibung und Empfängnisverhütung.

Fridolin Ambongo Besungu

Bereits seit geraumer Zeit wird spekuliert, dass bald einmal ein Papst aus Afrika kommen könnte: ein „schwarzer Papst“ also. Am häufigsten hört man inzwischen den Namen des Erzbischofs von Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo: Fridolin Ambongo Besungu. Der 65-Jährige gilt im Vergleich zu seinen Kardinalskollegen aus Europa und Nordamerika als recht konservativ. Er gehört außerdem zu den wichtigsten Kirchenvertretern Afrikas.

Die Öffnung für die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren sah er – wie viele Katholiken in Afrika – sehr kritisch. „Der afrikanische Kontinent erlebte das als kulturelle Kolonialisierung des Westens“, kommentierte Besungu den überraschenden Schritt von Papst Franziskus.

Raymond Burke

Der 76 Jahre alte Kardinalpriester aus den USA, ehemaliger Erzbischof von St. Louis, galt als einer der härtesten Gegner des verstorbenen Papstes. Der konservative Hardliner kritisierte vorsichtige Reformversuche wie Segnungen für homosexuelle Paare. Größere Änderungen wie Abschaffung des Zölibats oder Frauen als Priester sind für ihn schon gar nicht zu machen.

Nachdem er Franziskus auch öffentlich kritisiert hatte, strich ihm der Vatikan das Gehalt. Auch auf seine 400-Quadratmeter-Wohnung in Rom musste er verzichten. Der Posten als Kardinalpatron des Malteserordens war ihm zuvor schon entzogen worden. Burke gilt als jemand, den das Weiße Haus gern als Papst sehen würde. Allerdings werden seine Chancen als eher gering beurteilt.

Jean-Marc Aveline

Der Erzbischof von Marseille kam an Weihnachten 1958 in Algerien zur Welt, das damals noch zu Frankreich gehörte. Aufgewachsen ist er in den Vororten von Marseille. Heute ist er Erzbischof der großen Hafenstadt im Süden des Landes. Aveline gilt als volksnah – einer der Charakterzüge, die er mit dem verstorbenen Papst teilt. Auch sonst gilt der Südfranzose als jemand, den in Auftreten und Politik viel mit dem Argentinier Jorge Mario Bergoglio einte. Manche nennen ihn gar einen „Super-Bergoglianer“.

Aveline stünde also dafür, dass das Vermächtnis des toten Pontifex fortgesetzt würde. Das spricht aus Sicht mancher gegen ihn. Dass nacheinander zwei ähnliche Päpste gewählt werden, ist in der katholischen Kirchengeschichte eher selten. Aber wenn es doch so käme, hätte der Franzose gewiss schon einen Namen parat: Franziskus II.

Jean-Claude Hollerich

Der Erzbischof von Luxemburg ist einer der einflussreichsten Männer im Vatikan. Der Jesuit sitzt in mehreren wichtigen Dekasterien. Zudem leitet der 66-Jährige, mehrsprachig wie viele in seiner Heimat, die Kommission der Bischofskonferenzen aller EU-Staaten. Bei der jüngsten Weltsynode war der Vertraute des gestorbenen Papstes Franziskus als „Generalrelator“ – eine Art Vermittler, wenn es Meinungsverschiedenheiten gab – eine der zentralen Gestalten.

Gerhard Ludwig Müller

Der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller steht auch auf einer Liste der Webseite collegeofcardinalsreport.com, auf der US-amerikanische Journalisten Kandidaten aufführen und vorstellen, die als „papabile“ gelten. Der 77-jährige Müller ist dezidierter Vertreter des erzkonservativen Flügels der katholischen Kirche. Die deutliche Distanzierung der deutschen Bischofskonferenz von der AfD kritisierte Müller als Opportunismus. Das Ende 2023 veröffentlichte Papier von Papst Franziskus zur Segnung auch homosexueller Paare brandmarkte Müller mit dem Hinweis, dass das Dokument eine Irrlehre – Häresie – zur Konsequenz habe.

Müller war von 2002 bis 2012 Bischof von Regensburg. Papst Benedikt XVI. holte ihn 2012 in den Vatikan und ernannte ihn zum obersten Glaubenshüter der katholischen Kirche, zum Präfekt der Glaubenskongregation. Der ab 2013 amtierende Franziskus erhob Müller zwar noch in den Kardinalsrang – doch 2017 entließ er ihn aus dem Amt des Präfekten. Der Kardinal hatte zuvor immer wieder den Papst bei Reformideen kritisiert. Auch nach seiner Entlassung meldete sich der Kardinal immer wieder kritisch zu Wort. Einzelne Konservative sehen in der Distanz zum Reformer Franziskus eine mögliche Chance für Müller, Papst zu werden.

Robert Sarah

Der guineische Geistliche Robert Sarah stand lange Zeit an der Spitze der vatikanischen Gottesdienstbehörde. Der 79-Jährige ist erklärter Anhänger jahrhundertealter kirchlicher Traditionen und entschiedener Gegner von Reformbemühungen. Auch er wird von der Webseite collegeofcardinalsreport.com als „papabile“ geführt. Immer wieder sorgt er mit seinen Aussagen zu Homosexualität, Gender-Theorie und Migration für Aufsehen. 2015 sagte er bei einem Vortrag: „Wir befinden uns, um einen Slogan zu benutzen, zwischen ‚Gender-Ideologie und IS‘.“ Und: „Was Nazifaschismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert waren“, so Sarah weiter, „sind homosexuelle und Abtreibungs-Ideologien des Westens und islamischer Fundamentalismus heute.“

Sarah geriet mehrfach mit Franziskus aneinander, vor allem als Benedikt XVI. und er gemeinsam das Buch „Des profondeurs de nos coeurs“ (Aus den Tiefen unserer Herzen) veröffentlichten, in dem sie die „Notwendigkeit“ des fortgesetzten Zölibats für Priester des lateinischen Ritus befürworteten. Das Buch erschien, als Franziskus abwog, ob er verheiratete Priester im Amazonasgebiet zulassen sollte, um dem dortigen Priestermangel zu begegnen. Sarah tritt daraufhin als Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung zurück.

Wie geht es nun weiter?

Die Wahlordnung gibt für den Termin der Papstwahl einen Spielraum zwischen dem 15. und dem 21. Tag nach dem Tod oder Amtsverzicht eines Papstes. Spätestens am 12. Mai zögen also die Wähler ins Konklave ein.

Bis zum Beginn der Wahl finden seit Dienstag täglich sogenannte Generalversammlungen der Kardinäle statt – auch derer, die qua Alter nicht mehr ins Konklave einziehen dürfen. Sie können bei diesen Beratungen ihre gegebenenfalls größere Erfahrung einbringen – und womöglich selbst noch die ein oder andere Strippe ziehen.

Viel wird wohl davon abhängen, wie gut das nähere Kennenlernen in diesen Tagen funktioniert. Denn viele der Kardinäle kennen sich nicht. Dann wird sich zeigen, ob einer der Kardinäle die Zustimmung der „Neulinge“ erhalten kann; ob sich ein „Königsmacher“ findet, der die diversen Kräfte zusammenbinden und auf einen mehrheitsfähigen Kandidaten fokussieren kann – oder ob Kardinäle aus weit entfernten Ländern am Ende in Rom gar in der Lage sein werden, sich selbst auf einen der ihren als neuer Papst zu einigen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.