Die Sozialbeiträge in Deutschland könnten nach übereinstimmender Erwartung von Experten bereits im kommenden Jahr erneut spürbar steigen. „Ich erwarte, dass die Krankenkassenbeiträge ohne Reformen in den kommenden zwei Jahren jeweils um rund 0,2 Beitragssatzpunkte steigen“, sagt der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Bereits zum Jahreswechsel musste ein Durchschnittsverdiener laut dem Berliner Forschungsinstitut IGES „einen sprunghaften Anstieg der Beitragsbelastung“ verkraften. In diesem Jahr seien dann im Schnitt 255 Euro mehr für die Krankenkasse zu zahlen. Der Zusatzbeitrag zum allgemeinen Satz von 14,6 Prozent war Anfang 2025 auf im Schnitt 2,9 Prozent gestiegen. „Ohne weitere Maßnahmen werden diese Belastungen zunehmen“, sagt IGES-Geschäftsführer Martin Albrecht.
Innerhalb der kommenden zehn Jahre erwartet IGES einen Anstieg der Belastung durch die gesamten Beiträge der einzelnen Sozialversicherungen von gut 42 auf 49 Prozent – je nach genauer Entwicklung werde der Wert dann zwischen 46 und 53 Prozent liegen.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagt der Deutschen Presse-Agentur: „Der Koalitionsvertrag verschärft das Problem: Anstelle von Vorschlägen zu einer Begrenzung des künftigen Beitragsanstiegs gibt es hier teure Versprechungen wie beispielsweise ein stabiles Rentenniveau und eine ausgeweitete Mütterrente.“
Auch der Mannheimer Ökonom Nicolas Ziebarth erwartet keine „strukturellen Reformen“ zur Senkung des wachsenden Kostendrucks in den Sozialversicherungen. „Die Sozialabgaben werden also ungebremst steigen“, sagt der Wissenschaftler am Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). „Die steigenden Sozialbeiträge sind heute eine der drängendsten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft.“
Abgaben behindern Konjunkturerholung
Die Abgabenbelastung gilt als eins der vordringlichen Hemmnisse für ein stärkeres Anspringen der Konjunktur in Deutschland. „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir das dritte Jahr hintereinander eine Rezession mit schrumpfender Wirtschaftsleistung erleben“, sagt Fratzscher.
Die Zölle von US-Präsident Donald Trump und die Folgen des russischen Kriegs in der Ukraine verschärften die Lage. „Wir bräuchten aber auch wieder mehr privaten Konsum in Deutschland“, sagt Fratzscher. „Hohe Sozialabgaben wirken hier deutlich dämpfend“, so der DIW-Chef. „Wenn die Menschen in Deutschland nicht wieder mehr ausgeben, wird nachhaltige konjunkturelle Erholung kaum gelingen.“
Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt sich besorgt über die Ankündigungen von CDU/CSU und SPD. „Reformen werden verschoben, weil sich die Koalitionspartner nicht einigen können“, kritisiert IW-Steuer- und Sozialexperte Jochen Pimpertz. Stattdessen bringe die neue Koalition viele Kommissionen auf den Weg – etwa für die Zukunft der Kranken- und der Pflegeversicherung.
„Den Kommissionen, die Reformen für die Koalition vorschlagen sollen, fehlt ein klarer Auftrag“, sagt Pimpertz der dpa. „Und sie kommen zu spät.“ So sollten Vorschläge für die Krankenversicherung erst 2027 vorliegen. Aus Sicht von Pimpertz reicht das nicht: „Diese werden eher im nächsten Bundestagswahlkampf zerredet, als dass sie umgesetzt werden.“
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