Die führenden Mitglieder der christlichen Gemeinschaften im Heiligen Land sind es gewohnt, wenn sehr früh morgens, oft weit vor sechs Uhr, eine E-Mail in Ihrem Postfach landet. Absender: der lateinische Patriarch von Jerusalem. Seine Eminenz, Pierbattista Kardinal Pizzaballa. Der Mann ist nicht nur Frühaufsteher, sondern auch stets im Dienst. Seine Abneigung gegen Small Talk ist bekannt, aber seine Augen strahlen Wärme aus. Was er sagt, ist pointiert und verbindlich. Wenn ihm eine Sache wichtig ist, gestikuliert er lebhaft. Gefällt ihm etwas im persönlichen Gespräch nicht, so berichten es Menschen, die ihn länger kennen, dann lasse er es einen direkt wissen

Geboren am 21. April 1965 in Cologno al Serio bei Bergamo, ist Pizzaballa genau an dem Tag 60 Jahre alt geworden, als Papst Franziskus starb: am Ostermontag. Der Italiener ist mit 19 Jahren den Franziskanern beigetreten und wurde 1990 zum Priester geweiht. Früh zog es ihn ins Heilige Land, wo er sich an der Hebräischen Universität in Jerusalem weiterbildete.

Pizzaballa übernahm 2004 als Kustos die Verantwortung für die katholischen Pilgerstätten im Heiligen Land. Ein Amt, das er zwölf Jahre lang innehatte und das ihn tief in die komplexen Realitäten der Region eintauchen ließ. 2016 wurde er zum apostolischen Administrator und 2020 schließlich zum lateinischen Patriarchen von Jerusalem ernannt, als erster Italiener seit Jahrzehnten in dieser Funktion.

Damit leitet er eine der herausforderndsten Diözesen der Welt, die Israel, die Palästinensergebiete, Jordanien und Zypern umfasst und bis zu 70.000 Katholiken betreut. Pizzaballa gilt als Brückenbauer zwischen den Religionen und Kulturen. Er spricht fließend Hebräisch und Arabisch, pflegt enge Kontakte in die israelische Gesellschaft und engagiert sich für die hebräisch-sprachigen Katholiken, deren Gemeinden in Jerusalem er von 2001 bis 2004 leitet.

In politischen und religiösen Konflikten sucht er den Dialog und scheut sich nicht, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Papst Franziskus ernannte ihn im September 2023 zum Kardinal und berief ihn in wichtige vatikanische Gremien, darunter das Dikasterium für die orientalischen Kirchen und das zur Förderung der Einheit der Christen.

Wenige Tage nach seiner Ernennung zum Kardinal überfällt die Hamas am 7. Oktober 2023 Israel. Pizzaballa bietet sich umgehend als Austausch für die von den Terroristen in den Gazastreifen entführten Kinder an. Im Heiligen Land wird das bis heute als ein Zeichen seines kompromisslosen Einsatzes für das Leben und die Würde jedes Menschen gewertet.

Im aktuellen „Papabili-Spiel“ um die Frage, wer das Zeug hat Papst zu werden, wird Pizzaballas Name als einer der ersten gehandelt. Er gilt als möglicher Nachfolger von Papst Franziskus nicht zuletzt wegen seiner pastoralen Nähe zur Basis und seiner Fähigkeit, inmitten von Krisen Hoffnung und Orientierung zu geben. Für ihn spricht auch, dass er die vergangen 35 Jahre im Heiligen Land verbracht hat und sich so keine nennenswerten Feinde im Vatikan machen konnte.

Trotz seiner italienischen Herkunft wird ihm ein großes Verständnis für den Globalen Süden nachgesagt. Zwar wird angemerkt, dass er zuweilen ein sehr offenes Wort führt, zuletzt kritisierte er Papst Franziskus in einem Interview mit WELT, für dessen mangelnde Unterstützung in Ökumene-Fragen. Auf die Frage, ob die Entwicklung der Ökumene in Jerusalem vom Papst gefördert wird, antwortet Pizzaballa: „Das ist eine schwierige Frage, denn ich möchte nicht respektlos sein. Aber ehrlich gesagt, nicht so sehr.“

Trotzdem werden ihm großes diplomatisches und politisches Geschick nachgesagt. Immer wieder betont er, dass die Kirche niemals den Verhandlungstisch im Nahen Osten verlassen habe. Er hebt hervor, für wie groß er seine Einflussmöglichkeiten hält, für das Wohl der Menschen vor Ort.

„Wir stehen auf der Seite der Menschen“

Pizzaballa kritisiert seit Jahrzehnten die Gewalt im Nahost-Konflikt, auf beiden Seiten und fordert immer wieder eine Exit-Strategie aus der „Logik der Gewalt“ und „eine Vision für das Danach“. Seine Stellungnahmen sind geprägt von dem Bemühen, die Not der Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion. Bereits vor Monaten betonte er: „Wir stehen nicht auf der Seite der Palästinenser, oder der Seite Israels, wir stehen auf der Seite der Menschen.“

So wie auch Papst Franziskus, der annähernd täglich mit der verbleibenden christlichen Gemeinde im Gazastreifen telefonierte, liegt Pizzaballa die kleine Gemeinschaft von etwa 450 Katholiken dort am Herzen. Im Gespräch mit WELT zeigte er sich vor wenigen Tagen erschüttert über die Zerstörung und die weiterhin prekäre humanitäre Lage in Gaza. Genauso hart verurteilt er aber auch die Gräueltaten der Hamas.

Pierbattista Kardinal Pizzaballa ist ein Mann des Dialogs und der Versöhnung, aber auch des klaren Wortes. Seine Biografie spiegelt die Herausforderungen und Hoffnungen einer Region wider, die er wie kaum ein anderer Vertreter der christlichen Kirchen im Nahen Osten versteht und geprägt hat. Nun muss sich zeigen, ob all das auch das Konklave im Mai überzeugt und er zwei Drittel der Stimmen der wahlberechtigten Kardinäle auf sich vereinen kann.

Oder ob die alte Weisheit gilt: „Schon viele sind als Papst in ein Konklave gegangen und als Kardinal wieder herausgekommen.“

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