Im Mittelpunkt der diesjährigen Mobilisierung zum ersten 1. Mai in Berlin stehen der Krieg in Gaza und die Lage in Kurdistan. Mehrere Gruppen rufen dazu auf, „den Genozid in Palästina“ und die Repression gegen kurdische „Aktivistinnen und Aktivisten“ sichtbar zu machen. Auch die deutsche Rüstungspolitik und die geplanten Sondervermögen für die Bundeswehr stehen in der Kritik.

In der polizeiinternen Lageeinschätzungen, die WELT exklusiv einsehen konnte, gehen die Sicherheitsbehörden von einem „dynamisches Einsatzgeschehen“ aus. Störungen durch einzelne Gruppen gelten als wahrscheinlich. Die Polizei rechnet mit Pyrotechnik, aggressiven Sprechchören, vereinzelten Wurfgeschossen oder gezielten Provokationen. Auch das Abspalten einzelner Gruppen zur Durchführung „eigener Aktionen“ gilt als möglich, heißt es in den Papieren.

Weitere Schwerpunkte in diesem Jahr bilden die Themen „Antirepression“ im Kontext der Verhaftung der ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette und der Prozesse rund um die linksextreme Gruppe Lina E. So soll etwa ein Redebeitrag von Klette abgespielt werden.

Der Aufzug soll laut Anmelder vom Lausitzer Platz über die Skalitzer Straße und die Mariannenstraße bis zum Kottbusser Damm in der Nähe des Hermannplatzes führen. Angekündigt ist die Versammlung als „Rave“-Demo mit Lautsprecherwagen und Soundsystemen. Die Polizei rechnet mit rund 2500 Teilnehmern, schließt jedoch eine deutlich höhere Zahl im unteren fünfstelligen Bereich nicht aus.

Der 1. Mai im vergangenen Jahr gilt als einer der friedlichsten seit Beginn des linksextremen Aufzuges. Erfahrene Einsatzleiter sagen, dass aktuelle Demonstrationsgeschehen rund um den 1. Mai sei überhaupt kein Vergleich zu den Ausschreitungen in den 80er- und 90er-Jahren, als Supermärkte geplündert, Feuerwehrautos angezündet, Hunderte Menschen festgenommen und verletzt wurden. Während früher der Himmel „schwarz vor Steinen“ gewesen sei, werde heute jede brennende Mülltonne als „Ausschreitung“ in den sozialen Medien zelebriert.

Auch in diesem Jahr ist der 18-Uhr-Aufzug in mehrere thematische Blöcke gegliedert, darunter ein Antiimperialismus-Block (Nahost/Kurden), ein Antifaschismus-/Antirepression-Block, ein Feminismus-Block, ein Antimilitarismus-Block, ein Anti-Zaun-Block, der die Umzäunung der Görlitzer Parks thematisiert, ein Lateinamerika-Block sowie ein Sozialismus-/Klassenkampf-Block.

Begleitet werden die Aufrufe zur Demonstration von Parolen wie „Free Gaza“ und „Gegenmacht von unten“. Neben klassischen Symbolen der Friedensbewegung und des Kommunismus sind Fahnen mit Palästina- und Kurdenbezug angekündigt. Teilweise wird zu einem konfrontativen Auftreten aufgerufen.

Flankiert wird die Mobilisierung von Aufrufen, in denen von „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ die Rede ist. Symbolisch treten unter anderem „Young Struggle“, der „Bund der Kommunist*innen“ sowie queerfeministische Initiativen in Erscheinung.

Parallel zur Demonstration ist eine Jugendversammlung im Görlitzer Park unter dem Titel „Jugend gegen Krieg und Zäune“ angemeldet. Sie richtet sich gegen die Umzäunung des Parks sowie gegen Kriegshandlungen in der Ukraine und im Westjordanland. Die Veranstalter planen, sich im späteren Verlauf dem Hauptaufzug anzuschließen.

Zusätzlich ist ein dreitägiger „Antifa-Kongress“ geplant, getragen vom Bündnis „Gegen autoritäre Formierung“. Die Veranstaltung möchte sich mit autoritären Tendenzen innerhalb der Linken und mit Antisemitismus im eigenen Lager auseinandersetzen. Innerhalb der Szene stößt der Kongress auf gemischte Reaktionen.

Denn die Erfahrungen aus den Vorjahren wirken nach: Im Verlauf der Demonstrationen kam es wiederholt zu antisemitischen Parolen. Das sorgte auch innerhalb der linksextremen Szene für heftige Debatten. Während die derzeit tonangebenden Bündnisse immer wieder durch Antisemitismus auffallen, gibt es innerhalb der Szene Strömungen, die genau das scharf verurteilen.

Auch in diesem Jahr warnt die Polizei vor vergleichbaren Szenarien. Bei Einsätzen gegen palästinensische oder kurdische Gruppen könne es zu spontanen Solidarisierungseffekten kommen. Zudem gelten Anfeindungen gegenüber Medienvertretern als möglich. Insbesondere aus dem pro-palästinensischen Spektrum, in dem Journalisten in der Vergangenheit wiederholt als „zionistische Handlanger“ oder „Lügenpresse“ beschimpft wurden. Im besonderen Fokus stehen die öffentlich-rechtlichen Medien und Vertreter des Medienkonzerns Axel Springer, zu denen auch WELT gehört.

Das Teilnehmerfeld gilt als breit gefächert. Erwartet werden neben radikal linken, kommunistischen und gewerkschaftlichen Gruppen auch queerfeministische Bündnisse, kurdische und palästinensische Aktivisten sowie Vertreter der „LGBTQIA+-Community“. Eine überregionale, koordinierte Anreise ist laut Sicherheitsbehörden derzeit nicht erkennbar. Die Polizei sieht bislang auch keine Hinweise auf systematisch geplante militante Aktionen.

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