Der Beginn der Freundschaft zwischen Giorgia Meloni und Donald Trump lässt sich genau rekonstruieren. Nach einem üppigen Dinner im Zentrum von Paris – der Tisch ist mit weißen Rosen dekoriert, die geleerten Teller stehen noch an den Plätzen, in den Gläsern sind Reste des Rotweins – sind die meisten Gäste schon aufgestanden. Nur Meloni und Trump sitzen noch da – vertieft ins Gespräch.
Es ist das erste Mal, dass sie sich Anfang Dezember vergangenen Jahres treffen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte zur Eröffnung von Notre Dame geladen. Eine Veranstaltung, der der mittlerweile abgewählte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht beiwohnen wollte. Meloni ergriff die Chance und knüpfte den Kontakt zum frisch wiedergewählten US-Präsidenten. Die Italienerin machte Eindruck. Trump beschrieb sie hinterher als „ein echtes Energiebündel“, mit dem er sich vorstellen könne, „die Welt ein wenig zurechtzurücken“.
Am Donnerstag sehen sich die beiden wieder. Als erste Europäerin seit Ausbruch des von Trump initiierten Zollkriegs reist Meloni nach Washington, wo sie im Oval Office mit dem US-Präsidenten sprechen wird. Für Europa geht es um viel. Kann die italienische Regierungschefin ihren Einfluss auf den US-Präsidenten nicht im Sinne des Kontinents geltend machen, wird das sowohl im Handelskrieg als auch im Ukraine-Krieg negative Folgen haben.
Im Zoll-Chaos ist die Lage derzeit festgefahren. Die „reziproken“ Zölle der USA gegen EU-Importe sind für 90 Tage ausgesetzt und es gilt ein Basis-Zoll von zehn Prozent. Auto-, Stahl- und Aluminiumimporte werden mit 25 Prozent besteuert.
Die EU hofft auf einen Deal mit der US-Regierung. Die Angebote sind weitreichend: Auf dem Tisch liegt die komplette Abschaffung aller Zölle, genauso wie der Kauf von mehr verflüssigtem Erdgas (LNG) und Waffen aus US-Produktion. Doch bislang gibt es keine ernsthaften Verhandlungen.
Denn eine Vereinbarung mit Europa zu treffen, ist derzeit nicht die Priorität im Weißen Haus. US-Finanzminister Scott Bessent konzentriert sich derzeit auf den Abschluss von Abkommen mit Großbritannien, Australien, Südkorea, Indien und Japan. Das berichtete das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf dessen Umfeld.
Initiative für europäisch-amerikanischen Deal
Dass die EU nicht auf dieser Liste steht, könnte auch damit zu tun haben, dass europäische Verhandler mit den falschen Leuten sprechen. Zu Beginn der Woche reiste EU-Handelskommissar Maros Sefcovic nach Washington und traf sich mit Handelsminister Howard Lutnick und dem Handelsbotschafter Jamieson Greer. Formal sind beide für die Aushandlung eines Deals zuständig, doch de facto hält Bessent die Fäden in der Hand. Der Finanzminister war die treibende Kraft hinter dem 90-tägigen Aufschub und gilt als gemäßigte Stimme in der Regierung. Lutnick dagegen tritt als Zollmeister auf, der wenig Interesse an einer Entspannung hat.
Melonis Ziel dürfte sein, das zu tun, was Sefcovic nicht vermag: Die Verhandlungen zu einem europäisch-amerikanischen Deal zu starten. Dafür will sie die Angebote der EU nochmals mit Nachdruck wiederholen. Einen entsprechenden Schlachtplan hat sie mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen besprochen, wie „Bloomberg“ berichtete. Auch mit anderen europäischen Partnern hat sie sich über die Ziele abgestimmt, wie Außenminister Antonio Tajani bestätigte. „Sie wird die europäische Position unterstützen“, sagte er.
Auch mit der neuen Bundesregierung steht sie im Kontakt. Johann Wadephul, der als möglicher neuer Außenminister gehandelt wird, bestätigte „Politico“, dass die Unionsfraktion im Bundestag „enge Drähte zu Meloni, Tajani und weiteren Mitgliedern der italienischen Regierung“ habe und sich „im steten Austausch zu einer Reihe von Themen“ befinde, „auch zu den transatlantischen Beziehungen“.
Meloni hat auch selbst ein großes Interesse daran, dass der Handelskrieg bald endet. Italien ist der drittgrößte Exporteur der EU in die USA. In Paris wurden deshalb bereits Sorgen laut, dass Meloni einen Alleingang wagen könnte. Bilaterale Gespräche könnten das europäische Momentum „brechen“, sagte der französische Industrieminister Marc Ferracci vergangene Woche.
Doch diese Gefahr ist relativ gering. Zwar könnte Meloni Trump einzelne Zugeständnisse, wie Ausnahmen der Zölle etwa für italienische Produkte wie Pasta oder Wein abringen. Doch im Endeffekt bleibt die EU-Kommission bei der Handelspolitik der zuständige Akteur.
Auch Rom wiegelt ab. „Dass Trump Zugeständnisse aufseiten der Europäer einfordert, ist aus amerikanischer Sicht angesichts des Handelsbilanzdefizits verständlich. Allein das US-Defizit gegenüber Italien beträgt 40 Milliarden US-Dollar. Trump wird also vermutlich versuchen, Premierministerin Meloni zu Anpassungen zu bewegen“, glaubt Matteo Perego di Cremnago, Staatssekretär für Verteidigung im Kabinett von Meloni und Mitglied beim Koalitionspartner Forza Italia. „Meloni wiederum steht in enger Abstimmung mit ihren europäischen Partnern, in Washington kann sie also eine gute Grundlage für weitere Gespräche auf europäischer Ebene legen“, sagte Perego im Gespräch mit WELT. Zudem ließen die jüngsten Äußerungen aus Washington darauf schließen, dass die USA weiterhin mit der EU-Kommission verhandeln wolle, anstatt auf bilaterale Deals zu setzen.
Stockende Ukraine-Gespräche
Über all dem schweben die Differenzen der Partner dies- und jenseits des Atlantiks über das weitere Vorgehen im Ukraine-Krieg. Trump hatte erst Anfang der Woche Kiew wieder die Schuld am Ausbruch des Krieges gegeben. „Man fängt keinen Krieg gegen jemanden an, der zwanzigmal so groß ist“, sagte er im Oval Office. Ein Angebot des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für Patriot-Raketen aus den USA ignorierte er. „Er will immer nur Raketen“, sagte Trump.
Zuvor hatte Selenskyj dem Weißen Haus vorgeworfen, „russische Narrative“ zu verbreiten. Einen Vorwurf, den Vizepräsident J.D. Vance entschieden zurückwies. „Ich halte es für absurd, dass Selenskyj der amerikanischen Regierung, die derzeit seine gesamte Regierung und seine Kriegsanstrengungen zusammenhält, erzählt, wir stünden irgendwie auf der Seite der Russen.“
Den russischen Angriff am Palmsonntag auf die nordukrainische Stadt Sumy mit 35 Toten hatte die US-Regierung nur halbherzig verurteilt. Trump nannte ihn einen „Fehler“ und Außenminister Marco Rubio schrieb auf X: „Das ist eine tragische Erinnerung, warum Präsident Trump so viel Zeit investiert, diesen Krieg zu beenden.“
Jegliche Verhandlungen mit Russland und der Ukraine fanden bislang ohne die Europäer statt. Meloni sieht sich zwar mit Differenzen in ihrer eigenen Koalition über die weitere Unterstützung der Ukraine konfrontiert, gegen die sich etwa der Koalitionspartner Lega stellt. Zugleich gilt die Regierungschefin von Beginn an als eine feste Unterstützerin der Ukraine. Sie dürfte zum einen auf Trump einwirken, keinen Deal zu verfolgen, der nur zugunsten Russlands ausfallen würde. Auch wird sie sich wohl dafür einsetzen, dass Europa mit an den Tisch geholt wird.
„Ohne die USA ist ein Friedensschluss im Ukraine-Krieg illusorisch. Giorgia Meloni ist eine angesehene Persönlichkeit auf der europäischen Bühne und pflegt eine starke Beziehung zu Donald Trump – eine Position, die sie zu einem strategischen Bindeglied zwischen Europa und den Vereinigten Staaten erhebt“, so der italienische Verteidigungspolitiker Perego.
Er geht davon aus, dass Meloni ihren Einfluss nutzen werde, um Trump für europäische Themen zu sensibilisieren. Klar sei aber auch: „Das wird nur von Erfolg gekrönt sein, wenn Europa seinen verteidigungspolitischen Pflichten nachkommt und sich bei seiner Verteidigung nicht länger nur noch auf die USA verlässt – wie es in den vergangenen 80 Jahren der Fall war.“
Gregor Schwung berichtet für WELT seit 2025 als US-Korrespondent aus Washington, D.C. Zuvor war er als Redakteur in der Außenpolitik-Redaktion in Berlin für die Ukraine zuständig.
Diana Pieper ist Redakteurin im Ressort Außenpolitik. Für WELT berichtet sie über internationale Politik mit einem besonderen Fokus auf Europa.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.