«Es war ein prächtiges Schauspiel, als wir beinahe 200 Segel stark von Toulon abfuhren», berichtet die Schweizerin Regula Engel. Es ist der 19. Mai 1798, die französische Flotte sticht ins Meer Richtung Ägypten. Mit an Bord des Flaggschiffs «L'Orient» ist nicht nur Kommandant Napoleon Bonaparte, sondern auch der Offizier Florian Engel und seine Frau Regula. Sie hat das Erlebte später aufgeschrieben.

Auf der Überfahrt lernt Regula Engel Napoleon persönlich kennen. Er habe sie auf eine Tasse Kaffee oder eine Prise Schnupftabak eingeladen, notiert sie: «Bonaparte pflegte ein Spässchen mit mir zu haben. Wenn er mir begegnete, lud er mich ein: ‹Will Sie auch eine Prise Tabak, meine kleine Schweizerin?›»
Die Anwesenheit von Schweizer Söldnern in Napoleons Armee war keine Ausnahme: «Innerhalb der Eidgenossenschaft war das Dasein als Söldner vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ein Massenphänomen. Man geht davon aus, dass Hunderttausende angeworben worden sind», sagt Nathalie Büsser, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Zürich. 1789 umfassten die eidgenössischen Truppen in Frankreich über 14'000 Männer.
Die Schweizerin Regula Engel ist nicht die einzige Frau, die mit der französischen Armee nach Ägypten reist. Schon nur auf dem Flaggschiff seien sie 14 Offiziersfrauen gewesen, davon zwei Schweizerinnen: die Ehefrauen der Offiziere Engel und Schmid aus Vevey, berichtet sie in ihren Lebenserinnerungen.
Regula Engel greift zur Waffe
In Ägypten greift Regula Engel auch zur Waffe: Als auf dem Feldzug Offiziere fehlen, zieht sie kurzerhand eine Uniform an und versieht den Dienst eines Leutnants. Sie lässt 17 Soldaten, die betrunken ins Lager zurückkommen, entwaffnen und für zwei Tage in Arrest setzen. «Die Offiziere unseres Regiments rühmten meine militärische Haltung und meine vollen Schweizer Waden gar sehr.»

Es sei keine Ausnahme gewesen, dass Frauen ihre Söldner- oder Offiziersgatten begleitet hätten, sagt Historikerin Nathalie Büsser. Ab dem 15. Jahrhundert seien sie im Kriegswesen stärker präsent gewesen, vor allem im sogenannten Tross, dem rückwärtigen Teil einer Armee: «Dort haben sie die Söldner versorgt, haben Garküchen betrieben oder als Wäscherinnen gearbeitet. Sie waren Prostituierte, Geliebte und Ehefrauen.»
Nathalie Büsser zeigt, dass Frauen auch in Kriegshandlungen involviert gewesen sind: «Es gibt Bilder, die Frauen zeigen, die plündern, die Vieh wegtreiben. Frauen haben auch Wachdienste übernommen.» Wie selbstverständlich die Anwesenheit von Frauen gewesen ist, zeigten Darstellungen, wie zum Beispiel die Alpenüberquerung in der Luzerner Chronik von Diebold Schilling.
Mit dabei waren auch die Kinder, vor allem die Kinder der Soldaten. Die Kinder der Offiziere lebten oft getrennt von ihren Eltern und erhielten eine gute Schulbildung: «Was wir heute als Rabeneltern bezeichnen würden, war in dieser Zeit überhaupt nicht ungewöhnlich», stellt Historikerin Büsser fest.
Napoleon tauft Engels Kinder
Regula Engel bringt 21 Kinder auf die Welt, meist lebt sie aber getrennt von ihnen. In den Memoiren steht: «Ich behielt immer nur das jüngste. Die andern waren bei guten Freunden untergebracht. Und sobald ein neues kam, brachten wir das vorhergegangene wieder ebenso in Sicherheit.» Dieses Arrangement ermögliche ihr, ihren geliebten Ehemann zu begleiten, schreibt Regula Engel.

In Ägypten gebärt die Offiziersgattin Zwillinge, was das Ehepaar vor eine Herausforderung stellt: Was tun, wenn sich kein christlicher Priester für die Taufe findet? In die Bresche springt kein Geringerer als der Kommandant Napoleon Bonaparte: «Bonaparte taufte die beiden Knaben unter Anrufung der drei heiligen Namen und gab ihnen beiden als Pate den seinigen» - Napoleon Johann Baptist und Napoleon Heinrich.
Die perfekte Dienerin
Nach der Rückkehr nach Frankreich holen die Engels die kirchliche Taufe der Zwillinge nach; eine Zeremonie, bei der erneut Napoleon Bonaparte anwesend ist. Engels steigen mit Napoleon auf und gehören schliesslich zum Hof von ihm und seiner zweiten Ehefrau Marie-Louise von Österreich. Regula Engel schildert Anekdoten, die sie als die perfekte Dienerin zeigen und berichtet stolz, dass sie regelmässig für Napoleons Mutter Laetitia gehalten wird. «Nichts gleicht dem Glücke und der Zufriedenheit, die ich im Jahr 1811 genossen habe.»

Am Horizont ziehen aber dunkle Wolken auf: 1812 zieht Napoleon gegen Russland in den Krieg. Engels haben Glück und Offizier Florian wird in Spanien gebraucht. Aber mit Napoleons Schicksal wendet sich auch ihr eigenes.
Regula Engels eigenes Waterloo
Als sich die Armeen von Frankreich und der Alliierten am 18. Juni 1815 in der Nähe des Dorfes Waterloo gegenüberstehen, sind auch Regula Engel, Ehemann Florian und ihre Söhne Florian und Joseph – erst zehn Jahre alt – auf dem Schlachtfeld. Die Offiziersgattin überlebt als einzige schwer verletzt. «Trauriger kann wohl kaum eine Lage sein, als die meinige», notiert sie.

In «normalen» Zeiten seien die Offiziere und ihre Familien in einer solchen Situation gut versorgt gewesen, sagt Nathalie Büsser, Historikerin an der Universität Zürich. Sie hätten mit einer Pension des französischen Staates rechnen können. «Regula Engel hatte wirklich Pech mit den Herrschaftswechseln, sonst hätte sie eine Rente erhalten», bilanziert Büsser.
Die Reise um die halbe Welt
Mangels offizieller Unterstützung macht sich Offizierswitwe Engel auf die Suche nach ihren Kindern. Um Sohn Caspar zu treffen, quert Engel sogar den Atlantik und findet Caspar schliesslich in New Orleans an Gelbfieber erkrankt und im Sterben liegend. Zehn Jahre dauert Engels Suche nach ihren Kindern, schliesslich kehrt sie alleine und ohne Geld in die Schweiz zurück.

1821 publiziert Regula Engel ihre Erinnerungen «Frau Oberst Engel. Memoiren einer Amazone aus Napoleonischer Zeit», die sich so gut verkaufen, dass bereits kurz darauf eine zweite Auflage gedruckt wird. Sie schmückt ihre Lebensgeschichte bestmöglich aus, sodass man als Leserin oder Leser oft gar nicht weiss, wo sie übertreibt und ob alles stimmt. Für Historikerin Nathalie Büsser ist die Frage nach der Wahrheit nicht die wichtigste; stattdessen fragt sie, was ihr die Anekdoten bringen.
Die Memoiren als Kampfschrift
Beim Buch gehe es auch um Regula Engels Anspruch auf eine Pension, ist Nathalie Büsser überzeugt. Engel wolle zeigen, wie gut sie und ihre Familie Napoleon und dem französischen Staat gedient hätten: «Durch das Dienen hat man sich Verdienste und Ehre angesammelt. Und wenn man Forderungen an den Kriegsherrn hatte, dann konnte man auf diese Ehren verweisen.»

Familie Engel hat dem französischen Staat viel gedient, viel geopfert und viel Ehre erworben, das zeigen Regula Engels Lebenserinnerungen. Doch vergebens: Regula Engel stirbt mit 92 Jahren verarmt im Zürcher Predigerspital.
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