Als einziges Orchester weltweit leisten sich die Berliner Philharmoniker eine Digital Concert Hall. Dort wird seit über einer Dekade jedes Konzert gegen eine Abogebühr im Internet gestreamt, ist dauerhaft abrufbar, dazu gibt es zusätzliche Inhalte wie ältere Archivaufnahmen. Von diesem Projekt will sich das Gewandhausorchester Leipzig jetzt etwas abschauen.
Das Orchester gehört zu den bedeutendsten künstlerischen wie gesellschaftspolitischen Säulen der sächsischen Metropole. Die sich selbst gern als Musikstadt tituliert, damit auch offensiv Stadtmarketing und Touristikwerbung betreibt. Am zentralen Augustusplatz gegenüber der Oper (die man auch bespielt) ist das trutzig-markante Gebäude des dritten Gewandhaussaales von 1981 nicht zu übersehen. Hier finden regelmäßig die Mendelssohn-Festtage wie Teile des Bach-Festes statt. Zudem richtet man bedeutende Musikfestivals aus, etwa im Namen Mahlers oder ab Mitte Mai zum 50. Todestag von Dmitri Schostakowitsch.
Doch Andreas Schulz, seit 1998 Gewandhausdirektor und damit verantwortlich für die Geschicke von Orchester wie Veranstaltungsstätte, reicht das nicht. Denn obwohl der direkte Nachbar im Hochhaus am Augustplatz der Mitteldeutsche Rundfunk ist, findet der umtriebige, immer auch nach neuen Möglichkeiten für seine Musiker Ausschau haltende Manager das Orchester in dessen Kulturprogrammen, insbesondere was Konzertübertragungen angeht, für unterrepräsentiert. Tendenz: rückläufig. Deshalb auch wurde 2023 mit Hilfe klingender Namen aus Industrie, Politik und Kultur eine Stiftung Zukunft Gewandhaus Leipzig ins Leben gerufen.
Die hat nun verschiedene Funktionen, ganze 14 sind aufgeführt. Aber neben der üblichen Unterstützung bei Tourneen, Sonderprojekten, Auftragswerken, Nachwuchsförderung und Instrumentenkauf findet sich da auch der Passus der „Durchführung multimedialer (u. a. Audio-/Video-Streams) und digitaler Projekte (u. a. CD, DVD und andere Bild-/Tonträger), insbesondere die des Gewandhaus Radios“, die man fördern möchte.
Einen großen Schritt für ein künftiges Gewandhaus Radio hat Andreas Schulz, nach den Corona-Erfahrungen mit Übertragungen und Podcasts, bereits genommen: Die Stiftung hat via einer gGmbH eine Radiofrequenz für den Großraum Leipzig bei der Sächsischen Landesmedienanstalt beantragt und diese auch erhalten.
Der Rest scheint, obwohl inzwischen einige Zeit vergangen ist, noch Zukunftsmusik zu sein. Es ist nicht klar, wie weit man die zukünftige Web- wie Radiowelle nur als Werbekanal für die eigenen, schon jetzt zu Archivzwecken mitgeschnittenen Aufnahmen einsetzen wird, wie sehr man sich thematisch öffnen möchte. Will man auch andere Kulturevents berücksichtigen oder sich ganz auf die hausgemachten Veranstaltungen beschränken? Wie will man journalistisch damit umgehen? Soll es nur Werbung und Marketing sein, oder sind unabhängige Meinungen erlaubt?
Sendebetrieb 24/7
Andreas Schulz blickt ein wenig neidisch nach Berlin, denn einen Großsponsor, der regelmäßig das teure Audioequipment austauscht, hat man in Leipzig nicht. Eine Web-Radiowelle soll eine günstigere Alternative sein, am liebsten 24/7, weltweit geoblockerfrei für das Internet wie als lokale Digitalfrequenz, mit vom Gewandhaus an die gGmbH lizenzierten Produkten und Formaten, mit einem externen Redakteur und verschiedenen Moderatoren, die von einem wiederum externen Dienstleister geführt werden.
Schulz möchte den Kanal keinesfalls mit einer öffentlich-rechtlichen Welle vergleichen und sieht sich auch nicht als Konkurrenz. Aber als was denn? Da scheint es noch Klärungs- und vor allem Finanzierungsbedarf zu geben. Denn noch nicht einmal das Web-Radio, das im Vorfeld des Schostakowitsch-Festivals starten sollte, ist bisher verwirklicht.
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