Kunst ist ein Medium. Soweit herrscht Einverständnis. Was „Medienkunst“ sein könnte, harrt noch scharfer Definition. Vorläufig begnügt man sich mit dem Umriss: irgendetwas aus oder mit oder durch die sogenannten neuen Medien, also motorgetrieben, elektronisch, digital, computerisiert, algorithmisch, zahlenbasiert, quellcodegestützt, artifiziell intelligent, kryptografisch zertifiziert, blockchaingeneriert. Der verstorbene Großsammler Frieder Burda hat es populärer ausgedrückt: „Kunst mit Kabel kommt mir nicht ins Haus.“
Das sieht man am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) naturgemäß etwas anders. Freundlich, bestimmt und mediengewiss eröffnet Alistair Hudson, der Leiter des gigantischen Hauses, seine neue Ausstellung „The Story That Never Ends“ mit der Ansage eines großen Paradigmenwechsels: Nicht Malerei, nicht Skulptur, sondern die Medienkünste seien der eigentliche, der wahre Ausdruck unserer Epoche. Zum Beweis führt er durch ein Panorama repräsentativer Stücke der eigenen Sammlung, die zu den weltweit größten und bedeutendsten Sammlungen dieser Art zählen soll.
Dann rauscht es plötzlich, als bliese eine Bö durch die Hallen, und sieben Schaufensterpuppen beginnen sich an einem Hängegestell zu drehen. Die roten Taftkleider, die sie am Plastikleib haben, verwirbeln bei der Pirouette zu Bäuschen und fallen bei nachlassendem Schwung wieder herab. Eine Choreografie, die sich Ursula Neugebauer ausgedacht hat und die mit ihrem groß instrumentierten Werk eine volkstümliche, jedenfalls zureichende Antwort auf die Frage gibt, was mit „Medienkunst“ gemeint sein könnte.
Es sind wirklich erstaunliche Gerätschaften zu sehen. Auch Herr Burda hätte seinen Spaß. Kabel meist versteckt. Dort blinkt es wie Augenzwinkern aus einem Kranz kleiner Monitoren. Und der Zwinkerer kann nur Nam June Paik gewesen sein, der seinerzeit immer so aufgeregte Dinger gebastelt hat. Hier hängt eine Zwangsjacke aus der klassischen Psychiatrie an der Wand, die hin und wieder zuckt, als wollte sie sich aus sich selbst befreien. Und gleich tippen wir auf Rebecca Horn und liegen richtig. Wüst und roh, der Uralt-Fernsehapparat, den Wolf Vostell einbetonieren ließ. Klein und zart, das Streifenbildchen, mit dem Victor Vasarely der Malerei eine kinetische Anmutung zu geben hoffte.
Computerhand malt klassisches Informel
Anders als vor der imposanten Wand aus lauter Bildschirmen, auf denen Marie-Jo Lafontaine mit Bild- und Tonschnipseln eine nicht ganz einsichtige Botschaft sendet. Aber es gibt die plausible Erklärung dazu, nach der es sich bei ihrem Medienkunstwerk „Les larmes d’acier“ um die „komplexen Begriffskonstellationen Mann, Maschine, Macht und Sexualität“ handelt. Weshalb man, zumal als generisches Maskulinum, doch etwas betreten vorbeischleicht.
Unser Lieblingsbild hat sich nach etlichen Rundgängen durch die Ausstellung souverän behauptet. Niki Passath und sein „mithilfe eines programmierten Roboters hergestelltes“ Gemälde „If you could see what I have seen with your eyes“. Was die computergesteuerte Pinselhand aus Holz und Draht leistet, ist klassisches Informel, wie es in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren Mode war, und würde auch als Asger Jorn, Wols oder Emil Schumacher durchgehen.
Zutreffend beschreibt der Wandtext den Entstehungsprozess des Bildes als „Symbiose von Mensch und Maschine“. Wobei man sich natürlich fragen darf, warum der Künstler den Umweg über die komplex gesteuerte Malprothese wählt, wenn er ohne symbiotische Maschine zum gleichen Leinwandergebnis gelangen könnte. Dann wäre es eben Malerei und nicht Medienkunst und rechnete nicht zu den eigentlichen, den wahren Ausdrucksmitteln unserer Epoche.
Zu den schönsten Ergebnissen der Sammlungsübersicht gehört das gleichsam Schritt um Schritt unaufhaltsam wachsende Bewusstsein für die Geschichtlichkeit des Medienmediums. Man ist ja an den Selbstverschleiß der Künste tunlichst gewöhnt. Eine Schlagzeile löst die andere ab. Und was heute angesagt ist, ist spätestens in der übernächsten Saison schon wieder démodée. Aber bei den Werken mit Kabelanschluss verläuft der Historizitätsprozess doch noch eine Runde schneller. Vermutlich erschließt sich die Ausstellung für ein Publikum mit abgeschlossenem Informatikstudium als wahre Fundgrube. Denn was in den Vitrinen an aufgeschraubten Altcomputern und zerlegten Rekordern geboten wird, das muss jemanden vom Fach geradezu elektrisieren – auch ohne Stromanschluss.
Nichts altert ja so schnell wie die Gebrauchselektronik, ohne die wir nicht mehr leben wollen. Schon für das Modell vom vorletzten Jahr gibt es keine Ersatzteile mehr. Reparieren tut niemand mehr, allenfalls rezyklieren. Eine dreißig Jahre alte Videoinstallation hat den Status eines archäologischen Grabungsfundes. Entsprechend aufwendig ist ihre konservatorische Betreuung.
Und wenn es um Wiederbelebung alter Programme, um die Sicherung kaum mehr lesbarer Bild- und Tonspuren geht, liegen die Dinge mindestens so komplex wie bei der Restaurierung der antiken Bronzen von Riace oder bei der Sanierung von Rembrandts „Nachtwache“. Das wissenschaftliche Team des ZKM verdient allen Respekt für das Geduldsspiel, das ihm bei jeder Aufgabe die Erfindung neuer Spielregeln abverlangt. Entsprechend ist auch der Ausstellungstitel ihnen gewidmet: Es ist ihre Story, die never ends.
Andererseits sollte man von der Rasanz der Medienkünste vielleicht doch nicht so viel erwarten. Zumindest ist es nicht so, dass mit der Erfindung und Entwicklung computerbasierter Kunsttechniken die ästhetische Erfindung und Entwicklung Schritt gehalten hätte, und man mit ausgereifter künstlicher Intelligenz das Tor zu ganz neuen visuellen Welten aufschließen würde. Ästhetisch betrachtet, also vom Standort überholter Kunstmedien wie Malerei, Skulptur, Installation ausgesehen, ist das Karlsruher Aufgebot nichts anderes als hochkomplexe Nachbildung und Beleihung längst entwickelter Bildsprachen.
Techno mit dürftiger Erscheinung
Und nicht selten fällt die medientechnische Problemlösung unverkennbar hinter die bezwingende Sinnlichkeit der klassischen Künste zurück. Das lässt sich nicht zuletzt am Körperthema beobachten. Wenn man an die mitunter schmerzhafte Leibnähe einer Performance von Tino Seghal oder Anne Imhof denkt, dann muten die motorgetriebenen Kleiderpuppen der Ursula Neugebauer wie hübsches Spiel an. Aber vielleicht ist es ja auch nicht fair, angesichts der unglaublich diffizilen Innereien dieser Techno-Kunst an ihrer mitunter etwas dürftigen Erscheinung Anstoß zu nehmen.
Hier ist auch der Ort, dem „Garden Autobreeder“ gebührend Erwähnung zu tun. Dass der Wand-Screen nur blaurötlich glimmt wie das Licht in der Dunkelkammer, als man noch Filme entwickelte, mag auf den ersten Blick etwas enttäuschen. Aber wenn man bedenkt, welchen Sachverstand der niederländische Kunstinformatiker Harm van den Dorpel aufwenden musste („Kartesischer genetischer Programmieralgorithmus“), um seinem Blaurot ausdrücklich „unendliche Dauer“ zu garantieren, dann ist man doch beeindruckt. Auch wenn die diesmal hängenden Kabel eine gewisse Verletzlichkeit indizieren. Was geschieht denn mit der elektronischen Blüte, wenn im ZKM der Strom ausfällt?
Aber das sind Fragen, die man als aufgeklärter Zeitgenosse nicht stellen sollte. So wenig wie man bei der KI nachforschen darf, was sie von all dem menschlichen Wissen wissen kann, das nicht, noch nicht digitalisiert worden ist. Begnügen wir uns lieber mit dem Vergnügen an einer veritablen Fundsache. Nach langer vergeblicher Recherche hat man im Karlsruher Medienkunst-Archiv den verschlissenen Filmstreifen einer bis dato unbekannten Kooperation zwischen Yoko Ono und John Lennon gefunden und ihn wie bei einer komplizierten Operation am offenen Herzen in eine lesbare Datei verwandelt.
John trommelt auf dem Rücken eines Partners, Yoko bricht immer wieder in Schreigesten aus. Das hat etwas Anrührendes und durchaus Kurzzeitunterhaltsames, und es ist just die Stelle in der Ausstellung, an der vielleicht am deutlichsten wird, wie die Geschichte, die angeblich niemals endet, nur deshalb niemals endet, weil sie immerfort von ihrer eigenen Geschichte erzählt.
„The Story That Never Ends. Die Sammlung des ZKM“, bis zum 20. September 2025, Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe
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