In ihrem Podcast „News Core: Politik bis Popkultur“ unterhalten sich Imke Rabiega und Julian Theilen über Trends und aktuelle Debatten. Das folgende Transkript ist eine gekürzte Essenz der Podcastfolge „Telefonangst und Trinket Girls“.

Julian: Weißt du, Imke, was es in unserer Zeit bräuchte? Telefonkurse, in denen man lernt zu telefonieren. Vielleicht können die Volkshochschulen da mal was anbieten. Denn vergangene Woche ist eine Erhebung von Bitkom Research herausgekommen, die klar belegt: Fast jeder zweite in der Gen Z zwischen 16 und 29 Jahren hat Angst vor dem Telefonieren und schiebt selbst wichtige Telefonate lieber auf. Auch bei Freunden und Familie schreiben junge Leute lieber eine Nachricht, als anzurufen. Wie sieht's bei dir aus, Imke? Telefonierst du gerne?

Imke: Als Journalistin ja. Weil man gerade unbekannte Menschen persönlicher greifen kann und die eher das Gefühl haben, sie kennen einen. Deswegen kommt man meistens auch weiter in den Gesprächen. Privat gibt es Menschen, mit denen ich total gut telefonieren kann. Die kann ich auch einfach anrufen, ohne dass sie sich gestresst dadurch fühlen. Dann mache ich es auch gerne. Aber es gibt schon Leute, bei denen ich extrem zögerlich bin. Viele finden es auch angenehmer, wenn man ihnen erst schreibt, dann können sie in ihrem eigenen Rhythmus antworten. Umgekehrt mag ich das auch, weil man dann einfach mehr Bedenkzeit hat. Wenn Leute einem noch nicht so richtig vertraut sind oder man sie beeindrucken möchte zum Beispiel.

Julian: Eine Bekannte meinte mal vor ein paar Jahren zu mir, ein gutes Telefonat zu führen, ist eine Kunst. Ich wusste sofort, was sie meinte, denn man muss ja in Millisekunden auf das Gesprochene des Gegenübers reagieren und dann sieht man nicht mal die Mimik und die Körpersprache des anderen. Man muss nur aus der Tonlage und der Art des Sprechens feinste Stimmungen lesen und dann sofort darauf eingehen.

Imke: Ein Lehrer hat auch unter der Meldung von der Erhebung kommentiert, dass er mit seinen Schülern tatsächlich das Telefonieren übt im Klassenraum mit klassischen Festnetz-Telefonen. Er sagt, dass seine Schülerinnen und Schüler so aufgeregt sind, wenn sie jemanden anrufen müssen, dass sie oftmals schon bei der Begrüßung direkt scheitern. Irgendwie finde ich das ganz schade. Es ist ja eine wichtige Sozialkompetenz, mit Fremden kommunizieren zu können über seine Sprache.

Julian: Ich bin ja mit meinen 33 Jahren älter als die Schülerinnen und Schüler, aber ich verstehe es trotzdem. Ich habe in den vergangenen Jahren auch die Neigung entwickelt, Telefonate zu vermeiden. Wenn mich jemand anruft, verliere ich ja auch ein bisschen die Kontrolle über meine Zeit. Man weiß nicht, wie lange das Gespräch geht, vielleicht hängt man fest, dann muss man den anderen irgendwann abwimmeln oder wird selbst abgewürgt. Das ist ja manchmal auch verletzend.

Letztens saß ich mit einer Freundin im Café und sie erzählte von ihrem neuen Date, mit dem sie auch schon mal geschlafen hatte. Aber anrufen will sie ihn auf keinen Fall, weil sie Angst hat, dass das irgendwie übergriffig wirkt. Ich habe das Gefühl, Telefonieren ist die letzte Intimitätsstufe, die man freischalten muss. Erst das Date, dann Sex, dann irgendwann Hochzeit und erst dann, darf man den Partner auch mal anrufen.

Imke: Ja, es ist lustig, wie unterschiedlich das in anderen Generationen ist. Bei meinen Großeltern oder mit meinen Eltern ist das gar kein Thema. Die rufen sich ständig an. Aber ja, für uns ist es eine ungewöhnliche Live-Situation. Wir haben richtig Angst vor dieser Verbindlichkeit. Auch wenn Studien zeigen, dass wir sie zumindest in Beziehungen und Freundschaften gerade viel dringlicher suchen als noch vor der Pandemie.

Julian: Macht Sinn.

Imke: Eine Sache ist mir gerade noch eingefallen: Eigentlich ist es ja viel aufdringlicher, wenn Leute einem eine Nachricht schreiben und man schon sieht, was sie von einem wollen. Dann hat man so einen Höflichkeitszeitrahmen von vielleicht fünf Stunden, um darauf zu antworten. Aber wenn Leute einen anrufen, weiß man ja noch nicht, was sie von einem wollen.

Julian: Ich glaube auch, dass da einfach die eigenen Unsicherheiten reinprojiziert werden.

Imke: Wir sind uns auf jeden Fall einig, dass das ein Problem ist, weil es auch ein fehlendes Vertrauen in sich selbst zeigt, Probleme und Dinge so im zwischenmenschlichen Kontakt aushandeln zu können.

Julian: Ja, und deswegen bin ich auch etwas kritischer, was deine Prognose angeht, dass Dating-Apps tot sind. Ich glaube, jüngere Leute sind gar nicht gerüstet, in die Datingschlacht im realen Leben zu ziehen. Da ist die Angst vor Zurückweisung und Blamage ja noch größer. Und da geht es dann nicht nur darum, dass einem vielleicht ein schlecht gelaunter Mitarbeiter von der Vodafone-Hotline sagt, dass das Internet nicht funktioniert. Sondern es geht um Dinge, die den Selbstwert existenziell betreffen: Werde ich geliebt und angenommen?

Imke: Aber gerade, weil es um diese existenziellen Dinge wie Liebe geht, glaube ich, zieht es die Menschen auch wieder rein. Also, es ist ein Grund, sich wieder ins Reale zurückzubegeben. Hoffe ich.

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